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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Sarg niederließen, da, zum ersten Male, kam ein Schwanken in
sein Herz, und er erschrak, wenn er an die Oede von Robins-Eiland
dachte; denn er war nun ganz allein. Aber die Anhänglichkeit
an den Boden, den er sich errungen hatte, siegte auch diesmal,
und gutes Muthes kehrte er in seine Einsamkeit zurück. Die Insel
war seine Welt geworden.

Sein Leben blieb dasselbe: allwöchentlich fuhr er zu Markt
und bot seine Fische feil, wie er es vierzig Jahre lang gethan
hatte. Er war wohl gelitten in Cöpenick; sie kannten ihn alle;
und nur zu Zeiten blieb er aus. Dann lebte er mit den Cöpe-
nickern in Fehde. Oft um kleiner Dinge willen, aber auch um
großer. 1848 ließ er sich ein halbes Jahr lang nicht sehen und
kam erst wieder, als "Vater Wrangel", dessen Bild er damals mit
einer breiten Goldborte an die Stubenthür klebte, seinen siegreichen
Einzug gehalten hatte. Die Cöpenicker, als sie ihn wiedersahen,
vergaßen allen politischen Hader und sagten nur: "alte Leute sind
wunderlich".

Meine Geschichte geht zu Ende. -- Es war am ersten Sonn-
abend des Monats October 1850. Kahnis blieb aus. Die
Cöpenicker rechneten nach, worin sie's wohl wieder versehen haben
könnten, konnten aber Nichts finden. Daß Kahnis einmal eines
von ihm und seiner Laune ganz unabhängigen Zwischenfalles
halber fehlen könne, das fiel Niemanden ein. Darin waren die
Schmöckwitzer klüger. Diese, als er Tages darauf in ihrer Kirche
fehlte, wußten, was geschehen war. Sie fuhren hinüber und fanden
ihn neben der Schwelle seiner Thür, auf einem Bündel Schilf
sitzend, das er sich seit lange, als seine Altersbank, zurecht gelegt
hatte. Es war ersichtlich, daß er, die warme Herbstsonne suchend,
an dieser Stelle eingeschlafen war, um nicht wieder zu erwachen.
Die Verwandtschaft der Frau richtete ihm ein groß Begräbniß her;
der Schmöckwitzer Küster schrieb an die beiden Söhne, die mit
sieben Enkeln und anderthalbhandbreitem Krepp um den Hut, von
Berlin und Rathenow herüber kamen, die ganze Cöpenicker Fischer-
zunft aber, die, schon zwei Stunden vor Beginn der Feierlichkeit,
bei der Insel angefahren war, folgte jetzt in dreißig Booten nach
Schmöckwitz hinüber. Der Prediger, der den alten Mann sehr
geliebt, und seiner Gemeinde als das Bild eines schlichten und

Sarg niederließen, da, zum erſten Male, kam ein Schwanken in
ſein Herz, und er erſchrak, wenn er an die Oede von Robins-Eiland
dachte; denn er war nun ganz allein. Aber die Anhänglichkeit
an den Boden, den er ſich errungen hatte, ſiegte auch diesmal,
und gutes Muthes kehrte er in ſeine Einſamkeit zurück. Die Inſel
war ſeine Welt geworden.

Sein Leben blieb daſſelbe: allwöchentlich fuhr er zu Markt
und bot ſeine Fiſche feil, wie er es vierzig Jahre lang gethan
hatte. Er war wohl gelitten in Cöpenick; ſie kannten ihn alle;
und nur zu Zeiten blieb er aus. Dann lebte er mit den Cöpe-
nickern in Fehde. Oft um kleiner Dinge willen, aber auch um
großer. 1848 ließ er ſich ein halbes Jahr lang nicht ſehen und
kam erſt wieder, als „Vater Wrangel“, deſſen Bild er damals mit
einer breiten Goldborte an die Stubenthür klebte, ſeinen ſiegreichen
Einzug gehalten hatte. Die Cöpenicker, als ſie ihn wiederſahen,
vergaßen allen politiſchen Hader und ſagten nur: „alte Leute ſind
wunderlich“.

Meine Geſchichte geht zu Ende. — Es war am erſten Sonn-
abend des Monats October 1850. Kahnis blieb aus. Die
Cöpenicker rechneten nach, worin ſie’s wohl wieder verſehen haben
könnten, konnten aber Nichts finden. Daß Kahnis einmal eines
von ihm und ſeiner Laune ganz unabhängigen Zwiſchenfalles
halber fehlen könne, das fiel Niemanden ein. Darin waren die
Schmöckwitzer klüger. Dieſe, als er Tages darauf in ihrer Kirche
fehlte, wußten, was geſchehen war. Sie fuhren hinüber und fanden
ihn neben der Schwelle ſeiner Thür, auf einem Bündel Schilf
ſitzend, das er ſich ſeit lange, als ſeine Altersbank, zurecht gelegt
hatte. Es war erſichtlich, daß er, die warme Herbſtſonne ſuchend,
an dieſer Stelle eingeſchlafen war, um nicht wieder zu erwachen.
Die Verwandtſchaft der Frau richtete ihm ein groß Begräbniß her;
der Schmöckwitzer Küſter ſchrieb an die beiden Söhne, die mit
ſieben Enkeln und anderthalbhandbreitem Krepp um den Hut, von
Berlin und Rathenow herüber kamen, die ganze Cöpenicker Fiſcher-
zunft aber, die, ſchon zwei Stunden vor Beginn der Feierlichkeit,
bei der Inſel angefahren war, folgte jetzt in dreißig Booten nach
Schmöckwitz hinüber. Der Prediger, der den alten Mann ſehr
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[72/0088] Sarg niederließen, da, zum erſten Male, kam ein Schwanken in ſein Herz, und er erſchrak, wenn er an die Oede von Robins-Eiland dachte; denn er war nun ganz allein. Aber die Anhänglichkeit an den Boden, den er ſich errungen hatte, ſiegte auch diesmal, und gutes Muthes kehrte er in ſeine Einſamkeit zurück. Die Inſel war ſeine Welt geworden. Sein Leben blieb daſſelbe: allwöchentlich fuhr er zu Markt und bot ſeine Fiſche feil, wie er es vierzig Jahre lang gethan hatte. Er war wohl gelitten in Cöpenick; ſie kannten ihn alle; und nur zu Zeiten blieb er aus. Dann lebte er mit den Cöpe- nickern in Fehde. Oft um kleiner Dinge willen, aber auch um großer. 1848 ließ er ſich ein halbes Jahr lang nicht ſehen und kam erſt wieder, als „Vater Wrangel“, deſſen Bild er damals mit einer breiten Goldborte an die Stubenthür klebte, ſeinen ſiegreichen Einzug gehalten hatte. Die Cöpenicker, als ſie ihn wiederſahen, vergaßen allen politiſchen Hader und ſagten nur: „alte Leute ſind wunderlich“. Meine Geſchichte geht zu Ende. — Es war am erſten Sonn- abend des Monats October 1850. Kahnis blieb aus. Die Cöpenicker rechneten nach, worin ſie’s wohl wieder verſehen haben könnten, konnten aber Nichts finden. Daß Kahnis einmal eines von ihm und ſeiner Laune ganz unabhängigen Zwiſchenfalles halber fehlen könne, das fiel Niemanden ein. Darin waren die Schmöckwitzer klüger. Dieſe, als er Tages darauf in ihrer Kirche fehlte, wußten, was geſchehen war. Sie fuhren hinüber und fanden ihn neben der Schwelle ſeiner Thür, auf einem Bündel Schilf ſitzend, das er ſich ſeit lange, als ſeine Altersbank, zurecht gelegt hatte. Es war erſichtlich, daß er, die warme Herbſtſonne ſuchend, an dieſer Stelle eingeſchlafen war, um nicht wieder zu erwachen. Die Verwandtſchaft der Frau richtete ihm ein groß Begräbniß her; der Schmöckwitzer Küſter ſchrieb an die beiden Söhne, die mit ſieben Enkeln und anderthalbhandbreitem Krepp um den Hut, von Berlin und Rathenow herüber kamen, die ganze Cöpenicker Fiſcher- zunft aber, die, ſchon zwei Stunden vor Beginn der Feierlichkeit, bei der Inſel angefahren war, folgte jetzt in dreißig Booten nach Schmöckwitz hinüber. Der Prediger, der den alten Mann ſehr geliebt, und ſeiner Gemeinde als das Bild eines ſchlichten und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/88>, abgerufen am 25.11.2024.