die Fische?" Der Angeredete nannte eine beliebige Summe. "Da lasse ich sie billiger und gebe noch eine Bleiflinke zu." Damit griff Apitz in die Wanne und warf ihm die angekündigte Flinke in's Boot. In diesem Augenblicke stieg der Gluthball der Sonne auf und durchleuchtete die dünnen Nebel. Wir sahen nun erst, wo wir waren.
Am Wasser hin zog sich eine schmale Wiese, von Huflattig eingefaßt, der hier und dort in grotesken Blattbildungen kleine vorspringende Inseln schuf. Hinter dem Wiesenstreifen, immer den Windungen des Flusses folgend, stand eine Reihe von Häusern, jedes einzelne durch ein blühendes Mohnfeld von dem Nachbarhause geschieden. Die Bewohner schliefen noch oder hantirten in Küche und Kammer; nur ein paar Blondköpfe waren aus dem Bett in den Garten gesprungen und spielten in ihren rothen Friesröcken unter dem weißen Mohn umher. Im Rücken der Häuser stieg das Erdreich an, fast einen Damm bildend, auf dessen Höhe der Hanf in dichten Stauden stand. Hinter dem Damm aber lief die Dorfstraße hin, wenigstens klang von dort her ein leises Läuten herüber. Ich glaubte die Heerde zu sehen, trotzdem sie meinem Auge verborgen war.
Einsamkeit auch hier. Aber wenn sie am Tage vorher, an den Ufern des Zeuthener-Sees, wie ein wendisches Volkslied elegisch geklungen hatte, so klang sie hier wie ein Idyll aus alten Zeiten und schuf dem Herzen ein süßes Glück, wo jene nur ein süßes Weh geschaffen hatte. Ich wurde des stillen Lebens, das aus diesen Bildern zu mir sprach, nicht müde. Immer Neues erschloß sich mir, das mein Herz bewegte. In Front jedes Hauses stand ein uralter Birnbaum, in der einen Hälfte abgestorben, aber in der anderen noch frisch und mit Früchten überdeckt. In dem hohlen Hauptast bauten die Bienen, an dem Stamm lehnte die Sense, zwischen den Zweigen hing das Netz; und in dieser Drei- heit lag ersichtlich das Dasein dieser einfachen Menschen beschlossen. Das Sammeln des Honigs, das Mähen der Wiese, das Fischen im Fluß, in so engem Kreislauf vollendete sich tagtäglich ihre Welt. Und so war es immer an dieser Stelle.
Wie die Menschen hier, in Pfahlbauzeiten, im Gezweige ge- wohnt hatten, so wohnten sie jetzt unter dem Gezweig; aber in
die Fiſche?“ Der Angeredete nannte eine beliebige Summe. „Da laſſe ich ſie billiger und gebe noch eine Bleiflinke zu.“ Damit griff Apitz in die Wanne und warf ihm die angekündigte Flinke in’s Boot. In dieſem Augenblicke ſtieg der Gluthball der Sonne auf und durchleuchtete die dünnen Nebel. Wir ſahen nun erſt, wo wir waren.
Am Waſſer hin zog ſich eine ſchmale Wieſe, von Huflattig eingefaßt, der hier und dort in grotesken Blattbildungen kleine vorſpringende Inſeln ſchuf. Hinter dem Wieſenſtreifen, immer den Windungen des Fluſſes folgend, ſtand eine Reihe von Häuſern, jedes einzelne durch ein blühendes Mohnfeld von dem Nachbarhauſe geſchieden. Die Bewohner ſchliefen noch oder hantirten in Küche und Kammer; nur ein paar Blondköpfe waren aus dem Bett in den Garten geſprungen und ſpielten in ihren rothen Friesröcken unter dem weißen Mohn umher. Im Rücken der Häuſer ſtieg das Erdreich an, faſt einen Damm bildend, auf deſſen Höhe der Hanf in dichten Stauden ſtand. Hinter dem Damm aber lief die Dorfſtraße hin, wenigſtens klang von dort her ein leiſes Läuten herüber. Ich glaubte die Heerde zu ſehen, trotzdem ſie meinem Auge verborgen war.
Einſamkeit auch hier. Aber wenn ſie am Tage vorher, an den Ufern des Zeuthener-Sees, wie ein wendiſches Volkslied elegiſch geklungen hatte, ſo klang ſie hier wie ein Idyll aus alten Zeiten und ſchuf dem Herzen ein ſüßes Glück, wo jene nur ein ſüßes Weh geſchaffen hatte. Ich wurde des ſtillen Lebens, das aus dieſen Bildern zu mir ſprach, nicht müde. Immer Neues erſchloß ſich mir, das mein Herz bewegte. In Front jedes Hauſes ſtand ein uralter Birnbaum, in der einen Hälfte abgeſtorben, aber in der anderen noch friſch und mit Früchten überdeckt. In dem hohlen Hauptaſt bauten die Bienen, an dem Stamm lehnte die Senſe, zwiſchen den Zweigen hing das Netz; und in dieſer Drei- heit lag erſichtlich das Daſein dieſer einfachen Menſchen beſchloſſen. Das Sammeln des Honigs, das Mähen der Wieſe, das Fiſchen im Fluß, in ſo engem Kreislauf vollendete ſich tagtäglich ihre Welt. Und ſo war es immer an dieſer Stelle.
Wie die Menſchen hier, in Pfahlbauzeiten, im Gezweige ge- wohnt hatten, ſo wohnten ſie jetzt unter dem Gezweig; aber in
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die Fiſche?“ Der Angeredete nannte eine beliebige Summe. „Da
laſſe ich ſie billiger und gebe noch eine Bleiflinke zu.“ Damit
griff Apitz in die Wanne und warf ihm die angekündigte Flinke
in’s Boot. In dieſem Augenblicke ſtieg der Gluthball der Sonne
auf und durchleuchtete die dünnen Nebel. Wir ſahen nun erſt, wo
wir waren.
Am Waſſer hin zog ſich eine ſchmale Wieſe, von Huflattig
eingefaßt, der hier und dort in grotesken Blattbildungen kleine
vorſpringende Inſeln ſchuf. Hinter dem Wieſenſtreifen, immer den
Windungen des Fluſſes folgend, ſtand eine Reihe von Häuſern,
jedes einzelne durch ein blühendes Mohnfeld von dem Nachbarhauſe
geſchieden. Die Bewohner ſchliefen noch oder hantirten in Küche
und Kammer; nur ein paar Blondköpfe waren aus dem Bett in
den Garten geſprungen und ſpielten in ihren rothen Friesröcken
unter dem weißen Mohn umher. Im Rücken der Häuſer ſtieg
das Erdreich an, faſt einen Damm bildend, auf deſſen Höhe der
Hanf in dichten Stauden ſtand. Hinter dem Damm aber lief die
Dorfſtraße hin, wenigſtens klang von dort her ein leiſes Läuten
herüber. Ich glaubte die Heerde zu ſehen, trotzdem ſie meinem
Auge verborgen war.
Einſamkeit auch hier. Aber wenn ſie am Tage vorher, an
den Ufern des Zeuthener-Sees, wie ein wendiſches Volkslied elegiſch
geklungen hatte, ſo klang ſie hier wie ein Idyll aus alten Zeiten
und ſchuf dem Herzen ein ſüßes Glück, wo jene nur ein ſüßes
Weh geſchaffen hatte. Ich wurde des ſtillen Lebens, das aus
dieſen Bildern zu mir ſprach, nicht müde. Immer Neues erſchloß
ſich mir, das mein Herz bewegte. In Front jedes Hauſes ſtand
ein uralter Birnbaum, in der einen Hälfte abgeſtorben, aber in
der anderen noch friſch und mit Früchten überdeckt. In dem
hohlen Hauptaſt bauten die Bienen, an dem Stamm lehnte die
Senſe, zwiſchen den Zweigen hing das Netz; und in dieſer Drei-
heit lag erſichtlich das Daſein dieſer einfachen Menſchen beſchloſſen.
Das Sammeln des Honigs, das Mähen der Wieſe, das Fiſchen
im Fluß, in ſo engem Kreislauf vollendete ſich tagtäglich ihre
Welt. Und ſo war es immer an dieſer Stelle.
Wie die Menſchen hier, in Pfahlbauzeiten, im Gezweige ge-
wohnt hatten, ſo wohnten ſie jetzt unter dem Gezweig; aber in
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/93>, abgerufen am 24.11.2024.
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