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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
gemacht, nicht ganz so schnell wie Innstetten ange¬
nommen, und nun saß sie in ihres Gatten Zimmer
und beschäftigte sich in ihren Gedanken abwechselnd
mit dem kleinen Chinesen oben und mit Gieshübler,
der noch immer nicht kam. Vor einer Viertelstunde
war freilich ein kleiner, schiefschultriger und fast schon
so gut wie verwachsener Herr in einem kurzen eleganten
Pelzrock und einem hohen sehr glatt gebürsteten Cylinder
an der andern Seite der Straße vorbeigegangen und
hatte nach ihrem Fenster hinübergesehen. Aber das
konnte Gieshübler wohl nicht gewesen sein! Nein,
dieser schiefschultrige Herr, der zugleich etwas so Distin¬
guiertes hatte, das mußte der Herr Gerichtspräsident
gewesen sein, und sie entsann sich auch wirklich, in
einer Gesellschaft bei Tante Therese, mal einen solchen
gesehen zu haben, bis ihr mit einemmale einfiel,
daß Kessin bloß einen Amtsrichter habe.

Während sie diesen Betrachtungen noch nachhing,
wurde der Gegenstand derselben, der augenscheinlich
erst eine Morgen- oder vielleicht auch eine Ermuti¬
gungspromenade um die Plantage herum gemacht
hatte, wieder sichtbar, und eine Minute später erschien
Friedrich, um Apotheker Gieshübler anzumelden.

"Ich lasse sehr bitten."

Der armen jungen Frau schlug das Herz, weil
es das erste Mal war, daß sie sich als Hausfrau

Effi Brieſt
gemacht, nicht ganz ſo ſchnell wie Innſtetten ange¬
nommen, und nun ſaß ſie in ihres Gatten Zimmer
und beſchäftigte ſich in ihren Gedanken abwechſelnd
mit dem kleinen Chineſen oben und mit Gieshübler,
der noch immer nicht kam. Vor einer Viertelſtunde
war freilich ein kleiner, ſchiefſchultriger und faſt ſchon
ſo gut wie verwachſener Herr in einem kurzen eleganten
Pelzrock und einem hohen ſehr glatt gebürſteten Cylinder
an der andern Seite der Straße vorbeigegangen und
hatte nach ihrem Fenſter hinübergeſehen. Aber das
konnte Gieshübler wohl nicht geweſen ſein! Nein,
dieſer ſchiefſchultrige Herr, der zugleich etwas ſo Diſtin¬
guiertes hatte, das mußte der Herr Gerichtspräſident
geweſen ſein, und ſie entſann ſich auch wirklich, in
einer Geſellſchaft bei Tante Thereſe, mal einen ſolchen
geſehen zu haben, bis ihr mit einemmale einfiel,
daß Keſſin bloß einen Amtsrichter habe.

Während ſie dieſen Betrachtungen noch nachhing,
wurde der Gegenſtand derſelben, der augenſcheinlich
erſt eine Morgen- oder vielleicht auch eine Ermuti¬
gungspromenade um die Plantage herum gemacht
hatte, wieder ſichtbar, und eine Minute ſpäter erſchien
Friedrich, um Apotheker Gieshübler anzumelden.

„Ich laſſe ſehr bitten.“

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[100/0109] Effi Brieſt gemacht, nicht ganz ſo ſchnell wie Innſtetten ange¬ nommen, und nun ſaß ſie in ihres Gatten Zimmer und beſchäftigte ſich in ihren Gedanken abwechſelnd mit dem kleinen Chineſen oben und mit Gieshübler, der noch immer nicht kam. Vor einer Viertelſtunde war freilich ein kleiner, ſchiefſchultriger und faſt ſchon ſo gut wie verwachſener Herr in einem kurzen eleganten Pelzrock und einem hohen ſehr glatt gebürſteten Cylinder an der andern Seite der Straße vorbeigegangen und hatte nach ihrem Fenſter hinübergeſehen. Aber das konnte Gieshübler wohl nicht geweſen ſein! Nein, dieſer ſchiefſchultrige Herr, der zugleich etwas ſo Diſtin¬ guiertes hatte, das mußte der Herr Gerichtspräſident geweſen ſein, und ſie entſann ſich auch wirklich, in einer Geſellſchaft bei Tante Thereſe, mal einen ſolchen geſehen zu haben, bis ihr mit einemmale einfiel, daß Keſſin bloß einen Amtsrichter habe. Während ſie dieſen Betrachtungen noch nachhing, wurde der Gegenſtand derſelben, der augenſcheinlich erſt eine Morgen- oder vielleicht auch eine Ermuti¬ gungspromenade um die Plantage herum gemacht hatte, wieder ſichtbar, und eine Minute ſpäter erſchien Friedrich, um Apotheker Gieshübler anzumelden. „Ich laſſe ſehr bitten.“ Der armen jungen Frau ſchlug das Herz, weil es das erſte Mal war, daß ſie ſich als Hausfrau

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/109>, abgerufen am 15.05.2024.