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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Dächern der Stadt stand der Rauch, denn die Luft¬
bewegung war gering. Auch Utpatel's Mühle drehte
sich nur langsam, und im Fluge fuhren sie daran
vorüber, dicht am Kirchhofe hin, dessen Berberitzen¬
sträucher über das Gitter hinauswuchsen und mit
ihren Spitzen Effi streiften, so daß der Schnee auf
ihre Reisedecke fiel. An der anderen Seite des Wegs
war ein eingefriedeter Platz, nicht viel größer als ein
Gartenbeet, und innerhalb nichts sichtbar als eine
junge Kiefer, die mitten daraus hervorragte.

"Liegt da auch wer begraben?" fragte Effi.

"Ja. Der Chinese."

Effi fuhr zusammen; es war ihr wie ein Stich.
Aber sie hatte doch Kraft genug, sich zu beherrschen
und fragte mit anscheinender Ruhe: "Unserer?"

"Ja, unserer. Auf dem Gemeindekirchhof war
er natürlich nicht unterzubringen, und da hat denn
Kapitän Thomsen, der so 'was wie sein Freund war,
diese Stelle gekauft und ihn hier begraben lassen.
Es ist auch ein Stein da mit Inschrift. Alles
natürlich vor meiner Zeit. Aber es wird noch immer
davon gesprochen."

"Also es ist doch 'was damit. Eine Geschichte.
Du sagtest schon heute früh so 'was. Und es wird
am Ende das beste sein, ich höre, was es ist. So
lang' ich es nicht weiß, bin ich, trotz aller guten

Effi Brieſt
Dächern der Stadt ſtand der Rauch, denn die Luft¬
bewegung war gering. Auch Utpatel's Mühle drehte
ſich nur langſam, und im Fluge fuhren ſie daran
vorüber, dicht am Kirchhofe hin, deſſen Berberitzen¬
ſträucher über das Gitter hinauswuchſen und mit
ihren Spitzen Effi ſtreiften, ſo daß der Schnee auf
ihre Reiſedecke fiel. An der anderen Seite des Wegs
war ein eingefriedeter Platz, nicht viel größer als ein
Gartenbeet, und innerhalb nichts ſichtbar als eine
junge Kiefer, die mitten daraus hervorragte.

„Liegt da auch wer begraben?“ fragte Effi.

„Ja. Der Chineſe.“

Effi fuhr zuſammen; es war ihr wie ein Stich.
Aber ſie hatte doch Kraft genug, ſich zu beherrſchen
und fragte mit anſcheinender Ruhe: „Unſerer?“

„Ja, unſerer. Auf dem Gemeindekirchhof war
er natürlich nicht unterzubringen, und da hat denn
Kapitän Thomſen, der ſo 'was wie ſein Freund war,
dieſe Stelle gekauft und ihn hier begraben laſſen.
Es iſt auch ein Stein da mit Inſchrift. Alles
natürlich vor meiner Zeit. Aber es wird noch immer
davon geſprochen.“

„Alſo es iſt doch 'was damit. Eine Geſchichte.
Du ſagteſt ſchon heute früh ſo 'was. Und es wird
am Ende das beſte ſein, ich höre, was es iſt. So
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[139/0148] Effi Brieſt Dächern der Stadt ſtand der Rauch, denn die Luft¬ bewegung war gering. Auch Utpatel's Mühle drehte ſich nur langſam, und im Fluge fuhren ſie daran vorüber, dicht am Kirchhofe hin, deſſen Berberitzen¬ ſträucher über das Gitter hinauswuchſen und mit ihren Spitzen Effi ſtreiften, ſo daß der Schnee auf ihre Reiſedecke fiel. An der anderen Seite des Wegs war ein eingefriedeter Platz, nicht viel größer als ein Gartenbeet, und innerhalb nichts ſichtbar als eine junge Kiefer, die mitten daraus hervorragte. „Liegt da auch wer begraben?“ fragte Effi. „Ja. Der Chineſe.“ Effi fuhr zuſammen; es war ihr wie ein Stich. Aber ſie hatte doch Kraft genug, ſich zu beherrſchen und fragte mit anſcheinender Ruhe: „Unſerer?“ „Ja, unſerer. Auf dem Gemeindekirchhof war er natürlich nicht unterzubringen, und da hat denn Kapitän Thomſen, der ſo 'was wie ſein Freund war, dieſe Stelle gekauft und ihn hier begraben laſſen. Es iſt auch ein Stein da mit Inſchrift. Alles natürlich vor meiner Zeit. Aber es wird noch immer davon geſprochen.“ „Alſo es iſt doch 'was damit. Eine Geſchichte. Du ſagteſt ſchon heute früh ſo 'was. Und es wird am Ende das beſte ſein, ich höre, was es iſt. So lang' ich es nicht weiß, bin ich, trotz aller guten

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/148>, abgerufen am 24.11.2024.