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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

Effi war, als der Zug vorbeijagte, von einer
herzlichen Sehnsucht erfaßt worden. So gut es ihr
ging, sie fühlte sich trotzdem wie in einer fremden
Welt. Wenn sie sich eben noch an dem einen oder
andern entzückt hatte, so kam ihr doch gleich nachher
zum Bewußtsein, was ihr fehlte. Da drüben lag
Varzin, und da nach der anderen Seite hin blitzte der
Kroschentiner Kirchturm auf, und weithin der Morge¬
nitzer, und da saßen die Grasenabb's und die Borcke's,
nicht die Belling's und nicht die Briest's. "Ja,
die!" Innstetten hatte ganz recht gehabt mit dem
raschen Wechsel ihrer Stimmung, und sie sah jetzt
wieder alles, was zurücklag, wie in einer Verklärung.
Aber so gewiß sie voll Sehnsucht dem Zuge nach¬
gesehen, sie war doch andererseits viel zu beweglichen
Gemüts, um lange dabei zu verweilen und schon
auf der Heimfahrt, als der rote Ball der nieder¬
gehenden Sonne seinen Schimmer über den Schnee
ausgoß, fühlte sie sich wieder freier; alles erschien
ihr schön und frisch, und als sie, nach Kessin zurück¬
gekehrt, fast mit dem Glockenschlage sieben in den
Gieshüblerschen Flur eintrat, war ihr nicht bloß
behaglich, sondern beinah übermütig zu Sinn, wozu
die das Haus durchziehende Baldrian- und Veilchen¬
wurzel-Luft das ihrige beitragen mochte.

Pünktlich waren Innstetten und Frau erschienen,

Effi Brieſt

Effi war, als der Zug vorbeijagte, von einer
herzlichen Sehnſucht erfaßt worden. So gut es ihr
ging, ſie fühlte ſich trotzdem wie in einer fremden
Welt. Wenn ſie ſich eben noch an dem einen oder
andern entzückt hatte, ſo kam ihr doch gleich nachher
zum Bewußtſein, was ihr fehlte. Da drüben lag
Varzin, und da nach der anderen Seite hin blitzte der
Kroſchentiner Kirchturm auf, und weithin der Morge¬
nitzer, und da ſaßen die Graſenabb's und die Borcke's,
nicht die Belling's und nicht die Brieſt's. „Ja,
die!“ Innſtetten hatte ganz recht gehabt mit dem
raſchen Wechſel ihrer Stimmung, und ſie ſah jetzt
wieder alles, was zurücklag, wie in einer Verklärung.
Aber ſo gewiß ſie voll Sehnſucht dem Zuge nach¬
geſehen, ſie war doch andererſeits viel zu beweglichen
Gemüts, um lange dabei zu verweilen und ſchon
auf der Heimfahrt, als der rote Ball der nieder¬
gehenden Sonne ſeinen Schimmer über den Schnee
ausgoß, fühlte ſie ſich wieder freier; alles erſchien
ihr ſchön und friſch, und als ſie, nach Keſſin zurück¬
gekehrt, faſt mit dem Glockenſchlage ſieben in den
Gieshüblerſchen Flur eintrat, war ihr nicht bloß
behaglich, ſondern beinah übermütig zu Sinn, wozu
die das Haus durchziehende Baldrian- und Veilchen¬
wurzel-Luft das ihrige beitragen mochte.

Pünktlich waren Innſtetten und Frau erſchienen,

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[149/0158] Effi Brieſt Effi war, als der Zug vorbeijagte, von einer herzlichen Sehnſucht erfaßt worden. So gut es ihr ging, ſie fühlte ſich trotzdem wie in einer fremden Welt. Wenn ſie ſich eben noch an dem einen oder andern entzückt hatte, ſo kam ihr doch gleich nachher zum Bewußtſein, was ihr fehlte. Da drüben lag Varzin, und da nach der anderen Seite hin blitzte der Kroſchentiner Kirchturm auf, und weithin der Morge¬ nitzer, und da ſaßen die Graſenabb's und die Borcke's, nicht die Belling's und nicht die Brieſt's. „Ja, die!“ Innſtetten hatte ganz recht gehabt mit dem raſchen Wechſel ihrer Stimmung, und ſie ſah jetzt wieder alles, was zurücklag, wie in einer Verklärung. Aber ſo gewiß ſie voll Sehnſucht dem Zuge nach¬ geſehen, ſie war doch andererſeits viel zu beweglichen Gemüts, um lange dabei zu verweilen und ſchon auf der Heimfahrt, als der rote Ball der nieder¬ gehenden Sonne ſeinen Schimmer über den Schnee ausgoß, fühlte ſie ſich wieder freier; alles erſchien ihr ſchön und friſch, und als ſie, nach Keſſin zurück¬ gekehrt, faſt mit dem Glockenſchlage ſieben in den Gieshüblerſchen Flur eintrat, war ihr nicht bloß behaglich, ſondern beinah übermütig zu Sinn, wozu die das Haus durchziehende Baldrian- und Veilchen¬ wurzel-Luft das ihrige beitragen mochte. Pünktlich waren Innſtetten und Frau erſchienen,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/158>, abgerufen am 21.11.2024.