Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest wie nach vielem sehr Weltlichen, so schließlich auchnach ihrer kirchlichen Richtung gefragt und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, daß sie nur eine Richtung kenne, die orthodoxe. Ihr Vater sei frei¬ lich ein Rationalist gewesen, fast schon ein Freigeist, weshalb er auch den Chinesen am liebsten auf dem Gemeindekirchhof gehabt hätte; sie ihrerseits sei aber ganz entgegengesetzter Ansicht, trotzdem sie persönlich des großen Vorzugs genieße, gar nichts zu glauben. Aber sie sei sich in ihrem entschiedenen Nichtglauben doch auch jeden Augenblick bewußt, daß das ein Spezialluxus sei, den man sich nur als Privatperson gestatten könne. Staatlich höre der Spaß auf, und wenn ihr das Kultusministerium oder gar ein Kon¬ sistorialregiment unterstünde, so würde sie mit un¬ nachsichtiger Strenge vorgehen. "Ich fühle so 'was von einem Torquemada in mir." Innstetten war sehr erheitert und erzählte seiner¬ Th. Fontane, Effi Briest. 11
Effi Brieſt wie nach vielem ſehr Weltlichen, ſo ſchließlich auchnach ihrer kirchlichen Richtung gefragt und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, daß ſie nur eine Richtung kenne, die orthodoxe. Ihr Vater ſei frei¬ lich ein Rationaliſt geweſen, faſt ſchon ein Freigeiſt, weshalb er auch den Chineſen am liebſten auf dem Gemeindekirchhof gehabt hätte; ſie ihrerſeits ſei aber ganz entgegengeſetzter Anſicht, trotzdem ſie perſönlich des großen Vorzugs genieße, gar nichts zu glauben. Aber ſie ſei ſich in ihrem entſchiedenen Nichtglauben doch auch jeden Augenblick bewußt, daß das ein Spezialluxus ſei, den man ſich nur als Privatperſon geſtatten könne. Staatlich höre der Spaß auf, und wenn ihr das Kultusminiſterium oder gar ein Kon¬ ſiſtorialregiment unterſtünde, ſo würde ſie mit un¬ nachſichtiger Strenge vorgehen. „Ich fühle ſo 'was von einem Torquemada in mir.“ Innſtetten war ſehr erheitert und erzählte ſeiner¬ Th. Fontane, Effi Brieſt. 11
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0170" n="161"/><fw place="top" type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> wie nach vielem ſehr Weltlichen, ſo ſchließlich auch<lb/> nach ihrer kirchlichen Richtung gefragt und dabei<lb/> von ihr in Erfahrung gebracht, daß ſie nur <hi rendition="#g">eine</hi><lb/> Richtung kenne, die orthodoxe. Ihr Vater ſei frei¬<lb/> lich ein Rationaliſt geweſen, faſt ſchon ein Freigeiſt,<lb/> weshalb er auch den Chineſen am liebſten auf dem<lb/> Gemeindekirchhof gehabt hätte; ſie ihrerſeits ſei aber<lb/> ganz entgegengeſetzter Anſicht, trotzdem ſie perſönlich<lb/> des großen Vorzugs genieße, gar nichts zu glauben.<lb/> Aber ſie ſei ſich in ihrem entſchiedenen Nichtglauben<lb/> doch auch jeden Augenblick bewußt, daß das ein<lb/> Spezialluxus ſei, den man ſich nur als Privatperſon<lb/> geſtatten könne. Staatlich höre der Spaß auf, und<lb/> wenn ihr das Kultusminiſterium oder gar ein Kon¬<lb/> ſiſtorialregiment unterſtünde, ſo würde ſie mit un¬<lb/> nachſichtiger Strenge vorgehen. „Ich fühle ſo 'was<lb/> von einem Torquemada in mir.“</p><lb/> <p>Innſtetten war ſehr erheitert und erzählte ſeiner¬<lb/> ſeits, daß er etwas ſo Heikles, wie das Dogmatiſche,<lb/> gefliſſentlich vermieden, aber dafür das Moraliſche<lb/> deſto mehr in den Vordergrund geſtellt habe. Haupt¬<lb/> thema ſei das Verführeriſche geweſen, das beſtändige<lb/> Gefährdetſein, das in allem öffentlichen Auftreten<lb/> liege, worauf die Trippelli leichthin und nur mit<lb/> Betonung der zweiten Satzhälfte geantwortet habe:<lb/> „Ja, beſtändig gefährdet; am meiſten die Stimme.“</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Th</hi>. <hi rendition="#g">Fontane</hi>, Effi Brieſt. 11<lb/></fw> </div> </body> </text> </TEI> [161/0170]
Effi Brieſt
wie nach vielem ſehr Weltlichen, ſo ſchließlich auch
nach ihrer kirchlichen Richtung gefragt und dabei
von ihr in Erfahrung gebracht, daß ſie nur eine
Richtung kenne, die orthodoxe. Ihr Vater ſei frei¬
lich ein Rationaliſt geweſen, faſt ſchon ein Freigeiſt,
weshalb er auch den Chineſen am liebſten auf dem
Gemeindekirchhof gehabt hätte; ſie ihrerſeits ſei aber
ganz entgegengeſetzter Anſicht, trotzdem ſie perſönlich
des großen Vorzugs genieße, gar nichts zu glauben.
Aber ſie ſei ſich in ihrem entſchiedenen Nichtglauben
doch auch jeden Augenblick bewußt, daß das ein
Spezialluxus ſei, den man ſich nur als Privatperſon
geſtatten könne. Staatlich höre der Spaß auf, und
wenn ihr das Kultusminiſterium oder gar ein Kon¬
ſiſtorialregiment unterſtünde, ſo würde ſie mit un¬
nachſichtiger Strenge vorgehen. „Ich fühle ſo 'was
von einem Torquemada in mir.“
Innſtetten war ſehr erheitert und erzählte ſeiner¬
ſeits, daß er etwas ſo Heikles, wie das Dogmatiſche,
gefliſſentlich vermieden, aber dafür das Moraliſche
deſto mehr in den Vordergrund geſtellt habe. Haupt¬
thema ſei das Verführeriſche geweſen, das beſtändige
Gefährdetſein, das in allem öffentlichen Auftreten
liege, worauf die Trippelli leichthin und nur mit
Betonung der zweiten Satzhälfte geantwortet habe:
„Ja, beſtändig gefährdet; am meiſten die Stimme.“
Th. Fontane, Effi Brieſt. 11
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |