Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest Sie ließ sich ein Glas Sherry und eine FlascheBiliner Wasser bringen und sah auf das Meer hin¬ aus, das im hellen Sonnenlichte schimmerte, während es am Ufer in kleinen Wellen brandete. "Da drüben liegt Bornholm und dahinter Wisby, wovon mir Jahnke vor Zeiten immer Wunderdinge vorschwärmte. Wisby ging ihm fast noch über Lübeck und Wullen¬ weber. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo das Stockholmer Blutbad war, und dann kommen die großen Ströme und dann das Nordkap, und dann die Mitternachtssonne." Und im Augenblick erfaßte sie eine Sehnsucht, das alles zu sehen. Aber dann gedachte sie wieder dessen, was ihr so nahe bevorstand, und sie erschrak fast. "Es ist eine Sünde, daß ich so leichtsinnig bin und solche Gedanken habe und mich wegträume, während ich doch an das nächste denken müßte. Vielleicht bestraft es sich auch noch, und alles stirbt hin, das Kind und ich. Und der Wagen und die zwei Kutschen, die halten dann nicht drüben vor dem Hause, die halten dann bei uns ... Nein, nein, ich mag hier nicht sterben, ich will hier nicht begraben sein, ich will nach Hohen-Cremmen. Und Lindequist, so gut er ist -- aber Niemeyer ist mir lieber; er hat mich getauft und eingesegnet und getraut, und Niemeyer soll mich auch begraben." Und dabei fiel eine Thräne auf ihre Hand. Dann Effi Brieſt Sie ließ ſich ein Glas Sherry und eine FlaſcheBiliner Waſſer bringen und ſah auf das Meer hin¬ aus, das im hellen Sonnenlichte ſchimmerte, während es am Ufer in kleinen Wellen brandete. „Da drüben liegt Bornholm und dahinter Wisby, wovon mir Jahnke vor Zeiten immer Wunderdinge vorſchwärmte. Wisby ging ihm faſt noch über Lübeck und Wullen¬ weber. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo das Stockholmer Blutbad war, und dann kommen die großen Ströme und dann das Nordkap, und dann die Mitternachtsſonne.“ Und im Augenblick erfaßte ſie eine Sehnſucht, das alles zu ſehen. Aber dann gedachte ſie wieder deſſen, was ihr ſo nahe bevorſtand, und ſie erſchrak faſt. „Es iſt eine Sünde, daß ich ſo leichtſinnig bin und ſolche Gedanken habe und mich wegträume, während ich doch an das nächſte denken müßte. Vielleicht beſtraft es ſich auch noch, und alles ſtirbt hin, das Kind und ich. Und der Wagen und die zwei Kutſchen, die halten dann nicht drüben vor dem Hauſe, die halten dann bei uns … Nein, nein, ich mag hier nicht ſterben, ich will hier nicht begraben ſein, ich will nach Hohen-Cremmen. Und Lindequiſt, ſo gut er iſt — aber Niemeyer iſt mir lieber; er hat mich getauft und eingeſegnet und getraut, und Niemeyer ſoll mich auch begraben.“ Und dabei fiel eine Thräne auf ihre Hand. Dann <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0195" n="186"/><fw place="top" type="header">Effi Brieſt<lb/></fw>Sie ließ ſich ein Glas Sherry und eine Flaſche<lb/> Biliner Waſſer bringen und ſah auf das Meer hin¬<lb/> aus, das im hellen Sonnenlichte ſchimmerte, während<lb/> es am Ufer in kleinen Wellen brandete. „Da drüben<lb/> liegt Bornholm und dahinter Wisby, wovon mir<lb/> Jahnke vor Zeiten immer Wunderdinge vorſchwärmte.<lb/> Wisby ging ihm faſt noch über Lübeck und Wullen¬<lb/> weber. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo<lb/> das Stockholmer Blutbad war, und dann kommen<lb/> die großen Ströme und dann das Nordkap, und<lb/> dann die Mitternachtsſonne.“ Und im Augenblick<lb/> erfaßte ſie eine Sehnſucht, das alles zu ſehen. Aber<lb/> dann gedachte ſie wieder deſſen, was ihr ſo nahe<lb/> bevorſtand, und ſie erſchrak faſt. „Es iſt eine Sünde,<lb/> daß ich ſo leichtſinnig bin und ſolche Gedanken habe<lb/> und mich wegträume, während ich doch an das nächſte<lb/> denken müßte. Vielleicht beſtraft es ſich auch noch,<lb/> und alles ſtirbt hin, das Kind und ich. Und der<lb/> Wagen und die zwei Kutſchen, die halten dann nicht<lb/> drüben vor dem Hauſe, die halten dann bei uns …<lb/> Nein, nein, ich mag hier nicht ſterben, ich will hier<lb/> nicht begraben ſein, ich will nach Hohen-Cremmen.<lb/> Und Lindequiſt, ſo gut er iſt — aber Niemeyer iſt<lb/> mir lieber; er hat mich getauft und eingeſegnet und<lb/> getraut, und Niemeyer ſoll mich auch begraben.“<lb/> Und dabei fiel eine Thräne auf ihre Hand. Dann<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [186/0195]
Effi Brieſt
Sie ließ ſich ein Glas Sherry und eine Flaſche
Biliner Waſſer bringen und ſah auf das Meer hin¬
aus, das im hellen Sonnenlichte ſchimmerte, während
es am Ufer in kleinen Wellen brandete. „Da drüben
liegt Bornholm und dahinter Wisby, wovon mir
Jahnke vor Zeiten immer Wunderdinge vorſchwärmte.
Wisby ging ihm faſt noch über Lübeck und Wullen¬
weber. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo
das Stockholmer Blutbad war, und dann kommen
die großen Ströme und dann das Nordkap, und
dann die Mitternachtsſonne.“ Und im Augenblick
erfaßte ſie eine Sehnſucht, das alles zu ſehen. Aber
dann gedachte ſie wieder deſſen, was ihr ſo nahe
bevorſtand, und ſie erſchrak faſt. „Es iſt eine Sünde,
daß ich ſo leichtſinnig bin und ſolche Gedanken habe
und mich wegträume, während ich doch an das nächſte
denken müßte. Vielleicht beſtraft es ſich auch noch,
und alles ſtirbt hin, das Kind und ich. Und der
Wagen und die zwei Kutſchen, die halten dann nicht
drüben vor dem Hauſe, die halten dann bei uns …
Nein, nein, ich mag hier nicht ſterben, ich will hier
nicht begraben ſein, ich will nach Hohen-Cremmen.
Und Lindequiſt, ſo gut er iſt — aber Niemeyer iſt
mir lieber; er hat mich getauft und eingeſegnet und
getraut, und Niemeyer ſoll mich auch begraben.“
Und dabei fiel eine Thräne auf ihre Hand. Dann
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