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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

"Ich denke, wir kommen noch 'mal wieder."

"Ja, ich. Der Herr wünscht es. Aber Ihr
könnt vielleicht da bleiben, bei meiner Mutter. Sorge
nur, daß sie Anniechen nicht zu sehr verwöhnt.
Gegen mich war sie mitunter streng, aber ein Enkel¬
kind ..."

"Und dann ist Anniechen ja auch so zum An¬
beißen. Da muß ja jeder zärtlich sein."

Das war am Donnerstag, am Tage vor der
Abreise. Innstetten war über Land gefahren und
wurde erst gegen Abend zurückerwartet. Am Nach¬
mittag ging Effi in die Stadt, bis auf den Markt¬
platz, und trat hier in die Apotheke und bat um
eine Flasche Sal volatile. "Man weiß nie, mit
wem man reist," sagte sie zu dem alten Gehülfen,
mit dem sie auf dem Plauderfuße stand und der sie
anschwärmte wie Gieshübler selbst.

"Ist der Herr Doktor zu Hause?" fragte sie
weiter, als sie das Fläschchen eingesteckt hatte.

"Gewiß, gnädigste Frau; er ist hier nebenan
und liest die Zeitungen."

"Ich werde ihn doch nicht stören?"

"O, nie."

Und Effi trat ein. Es war eine kleine, hohe
Stube, mit Regalen rings herum, auf denen allerlei
Kolben und Retorten standen; nur an der einen

Effi Brieſt

„Ich denke, wir kommen noch 'mal wieder.“

„Ja, ich. Der Herr wünſcht es. Aber Ihr
könnt vielleicht da bleiben, bei meiner Mutter. Sorge
nur, daß ſie Anniechen nicht zu ſehr verwöhnt.
Gegen mich war ſie mitunter ſtreng, aber ein Enkel¬
kind …“

„Und dann iſt Anniechen ja auch ſo zum An¬
beißen. Da muß ja jeder zärtlich ſein.“

Das war am Donnerstag, am Tage vor der
Abreiſe. Innſtetten war über Land gefahren und
wurde erſt gegen Abend zurückerwartet. Am Nach¬
mittag ging Effi in die Stadt, bis auf den Markt¬
platz, und trat hier in die Apotheke und bat um
eine Flaſche Sal volatile. „Man weiß nie, mit
wem man reiſt,“ ſagte ſie zu dem alten Gehülfen,
mit dem ſie auf dem Plauderfuße ſtand und der ſie
anſchwärmte wie Gieshübler ſelbſt.

„Iſt der Herr Doktor zu Hauſe?“ fragte ſie
weiter, als ſie das Fläſchchen eingeſteckt hatte.

„Gewiß, gnädigſte Frau; er iſt hier nebenan
und lieſt die Zeitungen.“

„Ich werde ihn doch nicht ſtören?“

„O, nie.“

Und Effi trat ein. Es war eine kleine, hohe
Stube, mit Regalen rings herum, auf denen allerlei
Kolben und Retorten ſtanden; nur an der einen

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[327/0336] Effi Brieſt „Ich denke, wir kommen noch 'mal wieder.“ „Ja, ich. Der Herr wünſcht es. Aber Ihr könnt vielleicht da bleiben, bei meiner Mutter. Sorge nur, daß ſie Anniechen nicht zu ſehr verwöhnt. Gegen mich war ſie mitunter ſtreng, aber ein Enkel¬ kind …“ „Und dann iſt Anniechen ja auch ſo zum An¬ beißen. Da muß ja jeder zärtlich ſein.“ Das war am Donnerstag, am Tage vor der Abreiſe. Innſtetten war über Land gefahren und wurde erſt gegen Abend zurückerwartet. Am Nach¬ mittag ging Effi in die Stadt, bis auf den Markt¬ platz, und trat hier in die Apotheke und bat um eine Flaſche Sal volatile. „Man weiß nie, mit wem man reiſt,“ ſagte ſie zu dem alten Gehülfen, mit dem ſie auf dem Plauderfuße ſtand und der ſie anſchwärmte wie Gieshübler ſelbſt. „Iſt der Herr Doktor zu Hauſe?“ fragte ſie weiter, als ſie das Fläſchchen eingeſteckt hatte. „Gewiß, gnädigſte Frau; er iſt hier nebenan und lieſt die Zeitungen.“ „Ich werde ihn doch nicht ſtören?“ „O, nie.“ Und Effi trat ein. Es war eine kleine, hohe Stube, mit Regalen rings herum, auf denen allerlei Kolben und Retorten ſtanden; nur an der einen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/336>, abgerufen am 16.07.2024.