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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
während sie dem nachhing, verließ sie das Zimmer,
drin die beiden schliefen, und setzte sich wieder an
das offene Fenster und sah in die stille Nacht hinaus.

"Ich kann es nicht los werden," sagte sie. "Und
was das schlimmste ist und mich ganz irre macht
an mir selbst ..."

In diesem Augenblicke setzte die Turmuhr drüben
ein, und Effi zählte die Schläge.

"Zehn ... Und morgen um diese Stunde bin
ich in Berlin. Und wir sprechen davon, daß unser
Hochzeitstag sei, und er sagt mir Liebes und Freund¬
liches und vielleicht Zärtliches. Und ich sitze dabei
und höre es und habe die Schuld auf meiner Seele."

Und sie stützte den Kopf auf ihre Hand und
starrte vor sich hin und schwieg.

"Und habe die Schuld auf meiner Seele,"
wiederholte sie. "Ja, da hab' ich sie. Aber
lastet sie auch auf meiner Seele? Nein. Und
das ist es, warum ich vor mir selbst erschrecke. Was
da lastet, das ist etwas ganz anderes -- Angst, Todes¬
angst und die ewige Furcht: es kommt doch am
Ende noch an den Tag. Und dann außer der Angst ...
Scham. Ich schäme mich. Aber wie ich nicht die rechte
Reue habe, so hab' ich auch nicht die rechte Scham.
Ich schäme mich bloß von wegen dem ewigen Lug
und Trug; immer war es mein Stolz, daß ich

Effi Brieſt
während ſie dem nachhing, verließ ſie das Zimmer,
drin die beiden ſchliefen, und ſetzte ſich wieder an
das offene Fenſter und ſah in die ſtille Nacht hinaus.

„Ich kann es nicht los werden,“ ſagte ſie. „Und
was das ſchlimmſte iſt und mich ganz irre macht
an mir ſelbſt …“

In dieſem Augenblicke ſetzte die Turmuhr drüben
ein, und Effi zählte die Schläge.

„Zehn … Und morgen um dieſe Stunde bin
ich in Berlin. Und wir ſprechen davon, daß unſer
Hochzeitstag ſei, und er ſagt mir Liebes und Freund¬
liches und vielleicht Zärtliches. Und ich ſitze dabei
und höre es und habe die Schuld auf meiner Seele.“

Und ſie ſtützte den Kopf auf ihre Hand und
ſtarrte vor ſich hin und ſchwieg.

„Und habe die Schuld auf meiner Seele,“
wiederholte ſie. „Ja, da hab' ich ſie. Aber
laſtet ſie auch auf meiner Seele? Nein. Und
das iſt es, warum ich vor mir ſelbſt erſchrecke. Was
da laſtet, das iſt etwas ganz anderes — Angſt, Todes¬
angſt und die ewige Furcht: es kommt doch am
Ende noch an den Tag. Und dann außer der Angſt …
Scham. Ich ſchäme mich. Aber wie ich nicht die rechte
Reue habe, ſo hab' ich auch nicht die rechte Scham.
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[381/0390] Effi Brieſt während ſie dem nachhing, verließ ſie das Zimmer, drin die beiden ſchliefen, und ſetzte ſich wieder an das offene Fenſter und ſah in die ſtille Nacht hinaus. „Ich kann es nicht los werden,“ ſagte ſie. „Und was das ſchlimmſte iſt und mich ganz irre macht an mir ſelbſt …“ In dieſem Augenblicke ſetzte die Turmuhr drüben ein, und Effi zählte die Schläge. „Zehn … Und morgen um dieſe Stunde bin ich in Berlin. Und wir ſprechen davon, daß unſer Hochzeitstag ſei, und er ſagt mir Liebes und Freund¬ liches und vielleicht Zärtliches. Und ich ſitze dabei und höre es und habe die Schuld auf meiner Seele.“ Und ſie ſtützte den Kopf auf ihre Hand und ſtarrte vor ſich hin und ſchwieg. „Und habe die Schuld auf meiner Seele,“ wiederholte ſie. „Ja, da hab' ich ſie. Aber laſtet ſie auch auf meiner Seele? Nein. Und das iſt es, warum ich vor mir ſelbſt erſchrecke. Was da laſtet, das iſt etwas ganz anderes — Angſt, Todes¬ angſt und die ewige Furcht: es kommt doch am Ende noch an den Tag. Und dann außer der Angſt … Scham. Ich ſchäme mich. Aber wie ich nicht die rechte Reue habe, ſo hab' ich auch nicht die rechte Scham. Ich ſchäme mich bloß von wegen dem ewigen Lug und Trug; immer war es mein Stolz, daß ich

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/390>, abgerufen am 22.11.2024.