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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
nicht lügen könne und auch nicht zu lügen brauche,
lügen ist so gemein, und nun habe ich doch immer
lügen müssen, vor ihm und vor aller Welt, im großen
und im kleinen, und Rummschüttel hat es gemerkt
und hat die Achseln gezuckt, und wer weiß was er
von mir denkt, jedenfalls nicht das beste. Ja, Angst
quält mich und dazu Scham über mein Lügenspiel.
Aber Scham über meine Schuld, die hab' ich nicht
oder doch nicht so recht oder doch nicht genug, und
das bringt mich um, daß ich sie nicht habe. Wenn
alle Weiber so sind, dann ist es schrecklich, und wenn
sie nicht so sind, wie ich hoffe, dann steht es schlecht
um mich, dann ist etwas nicht in Ordnung in meiner
Seele, dann fehlt mir das richtige Gefühl. Und
das hat mir der alte Niemeyer in seinen guten Tagen
noch, als ich noch ein halbes Kind war, 'mal gesagt:
auf ein richtiges Gefühl, darauf käme es an, und
wenn man das habe, dann könne einem das schlimmste
nicht passieren, und wenn man es nicht habe, dann
sei man in einer ewigen Gefahr, und das, was man
den Teufel nenne, das habe dann eine sichere Macht
über uns. Um Gottes Barmherzigkeit willen, steht
es so mit mir."

Und sie legte den Kopf in ihre Arme und weinte
bitterlich.

Als sie sich wieder aufrichtete, war sie ruhiger

Effi Brieſt
nicht lügen könne und auch nicht zu lügen brauche,
lügen iſt ſo gemein, und nun habe ich doch immer
lügen müſſen, vor ihm und vor aller Welt, im großen
und im kleinen, und Rummſchüttel hat es gemerkt
und hat die Achſeln gezuckt, und wer weiß was er
von mir denkt, jedenfalls nicht das beſte. Ja, Angſt
quält mich und dazu Scham über mein Lügenſpiel.
Aber Scham über meine Schuld, die hab' ich nicht
oder doch nicht ſo recht oder doch nicht genug, und
das bringt mich um, daß ich ſie nicht habe. Wenn
alle Weiber ſo ſind, dann iſt es ſchrecklich, und wenn
ſie nicht ſo ſind, wie ich hoffe, dann ſteht es ſchlecht
um mich, dann iſt etwas nicht in Ordnung in meiner
Seele, dann fehlt mir das richtige Gefühl. Und
das hat mir der alte Niemeyer in ſeinen guten Tagen
noch, als ich noch ein halbes Kind war, 'mal geſagt:
auf ein richtiges Gefühl, darauf käme es an, und
wenn man das habe, dann könne einem das ſchlimmſte
nicht paſſieren, und wenn man es nicht habe, dann
ſei man in einer ewigen Gefahr, und das, was man
den Teufel nenne, das habe dann eine ſichere Macht
über uns. Um Gottes Barmherzigkeit willen, ſteht
es ſo mit mir.“

Und ſie legte den Kopf in ihre Arme und weinte
bitterlich.

Als ſie ſich wieder aufrichtete, war ſie ruhiger

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[382/0391] Effi Brieſt nicht lügen könne und auch nicht zu lügen brauche, lügen iſt ſo gemein, und nun habe ich doch immer lügen müſſen, vor ihm und vor aller Welt, im großen und im kleinen, und Rummſchüttel hat es gemerkt und hat die Achſeln gezuckt, und wer weiß was er von mir denkt, jedenfalls nicht das beſte. Ja, Angſt quält mich und dazu Scham über mein Lügenſpiel. Aber Scham über meine Schuld, die hab' ich nicht oder doch nicht ſo recht oder doch nicht genug, und das bringt mich um, daß ich ſie nicht habe. Wenn alle Weiber ſo ſind, dann iſt es ſchrecklich, und wenn ſie nicht ſo ſind, wie ich hoffe, dann ſteht es ſchlecht um mich, dann iſt etwas nicht in Ordnung in meiner Seele, dann fehlt mir das richtige Gefühl. Und das hat mir der alte Niemeyer in ſeinen guten Tagen noch, als ich noch ein halbes Kind war, 'mal geſagt: auf ein richtiges Gefühl, darauf käme es an, und wenn man das habe, dann könne einem das ſchlimmſte nicht paſſieren, und wenn man es nicht habe, dann ſei man in einer ewigen Gefahr, und das, was man den Teufel nenne, das habe dann eine ſichere Macht über uns. Um Gottes Barmherzigkeit willen, ſteht es ſo mit mir.“ Und ſie legte den Kopf in ihre Arme und weinte bitterlich. Als ſie ſich wieder aufrichtete, war ſie ruhiger

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/391>, abgerufen am 22.11.2024.