Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest hegte man draußen in der Küche, wo Annie, wenndie Schulstunden hinter ihr lagen, ihre Zeit am liebsten verbrachte, was insoweit ganz natürlich war, als Roswitha und Johanna nicht nur das kleine Fräulein in gleichem Maße liebten, sondern auch unter einander nach wie vor auf dem besten Fuße standen. Diese Freundschaft der beiden Mädchen war ein Lieblingsgespräch zwischen den verschiedenen Freunden des Hauses, und Landgerichtsrat Gizicki sagte dann wohl zu Wüllersdorf: "Ich sehe darin nur eine neue Bestätigung des alten Weisheitssatzes: ,Laßt fette Leute um mich sein'; -- Cäsar war eben ein Menschenkenner und wußte, daß Dinge, wie Be¬ haglichkeit und Umgänglichkeit, eigentlich nur beim Embonpoint sind." Von einem solchen ließ sich denn nun bei beiden Mädchen auch wirklich sprechen, nur mit dem Unterschiede, daß das in diesem Falle nicht gut zu umgehende Fremdwort bei Roswitha schon stark eine Beschönigung, bei Johanna dagegen einfach die zutreffende Bezeichnung war. Diese letztere durfte man nämlich nicht eigentlich korpulent nennen, sie war nur prall und drall und sah jederzeit mit einer eigenen, ihr übrigens durchaus kleidenden Siegermiene gradlinig und blauäugig über ihre Normalbüste fort. Von Haltung und Anstand getragen, lebte sie ganz in dem Hochgefühl, die Dienerin eines guten Hauses Effi Brieſt hegte man draußen in der Küche, wo Annie, wenndie Schulſtunden hinter ihr lagen, ihre Zeit am liebſten verbrachte, was inſoweit ganz natürlich war, als Roswitha und Johanna nicht nur das kleine Fräulein in gleichem Maße liebten, ſondern auch unter einander nach wie vor auf dem beſten Fuße ſtanden. Dieſe Freundſchaft der beiden Mädchen war ein Lieblingsgeſpräch zwiſchen den verſchiedenen Freunden des Hauſes, und Landgerichtsrat Gizicki ſagte dann wohl zu Wüllersdorf: „Ich ſehe darin nur eine neue Beſtätigung des alten Weisheitsſatzes: ,Laßt fette Leute um mich ſein‘; — Cäſar war eben ein Menſchenkenner und wußte, daß Dinge, wie Be¬ haglichkeit und Umgänglichkeit, eigentlich nur beim Embonpoint ſind.“ Von einem ſolchen ließ ſich denn nun bei beiden Mädchen auch wirklich ſprechen, nur mit dem Unterſchiede, daß das in dieſem Falle nicht gut zu umgehende Fremdwort bei Roswitha ſchon ſtark eine Beſchönigung, bei Johanna dagegen einfach die zutreffende Bezeichnung war. Dieſe letztere durfte man nämlich nicht eigentlich korpulent nennen, ſie war nur prall und drall und ſah jederzeit mit einer eigenen, ihr übrigens durchaus kleidenden Siegermiene gradlinig und blauäugig über ihre Normalbüſte fort. Von Haltung und Anſtand getragen, lebte ſie ganz in dem Hochgefühl, die Dienerin eines guten Hauſes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0404" n="395"/><fw place="top" type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> hegte man draußen in der Küche, wo Annie, wenn<lb/> die Schulſtunden hinter ihr lagen, ihre Zeit am<lb/> liebſten verbrachte, was inſoweit ganz natürlich war,<lb/> als Roswitha und Johanna nicht nur das kleine<lb/> Fräulein in gleichem Maße liebten, ſondern auch<lb/> unter einander nach wie vor auf dem beſten Fuße<lb/> ſtanden. Dieſe Freundſchaft der beiden Mädchen<lb/> war ein Lieblingsgeſpräch zwiſchen den verſchiedenen<lb/> Freunden des Hauſes, und Landgerichtsrat Gizicki<lb/> ſagte dann wohl zu Wüllersdorf: „Ich ſehe darin<lb/> nur eine neue Beſtätigung des alten Weisheitsſatzes:<lb/> ,Laßt fette Leute um mich ſein‘; — Cäſar war eben<lb/> ein Menſchenkenner und wußte, daß Dinge, wie Be¬<lb/> haglichkeit und Umgänglichkeit, eigentlich nur beim<lb/> Embonpoint ſind.“ Von einem ſolchen ließ ſich denn<lb/> nun bei beiden Mädchen auch wirklich ſprechen, nur<lb/> mit dem Unterſchiede, daß das in dieſem Falle nicht<lb/> gut zu umgehende Fremdwort bei Roswitha ſchon<lb/> ſtark eine Beſchönigung, bei Johanna dagegen einfach<lb/> die zutreffende Bezeichnung war. Dieſe letztere durfte<lb/> man nämlich nicht eigentlich korpulent nennen, ſie<lb/> war nur prall und drall und ſah jederzeit mit einer<lb/> eigenen, ihr übrigens durchaus kleidenden Siegermiene<lb/> gradlinig und blauäugig über ihre Normalbüſte fort.<lb/> Von Haltung und Anſtand getragen, lebte ſie ganz in<lb/> dem Hochgefühl, die Dienerin eines guten Hauſes<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [395/0404]
Effi Brieſt
hegte man draußen in der Küche, wo Annie, wenn
die Schulſtunden hinter ihr lagen, ihre Zeit am
liebſten verbrachte, was inſoweit ganz natürlich war,
als Roswitha und Johanna nicht nur das kleine
Fräulein in gleichem Maße liebten, ſondern auch
unter einander nach wie vor auf dem beſten Fuße
ſtanden. Dieſe Freundſchaft der beiden Mädchen
war ein Lieblingsgeſpräch zwiſchen den verſchiedenen
Freunden des Hauſes, und Landgerichtsrat Gizicki
ſagte dann wohl zu Wüllersdorf: „Ich ſehe darin
nur eine neue Beſtätigung des alten Weisheitsſatzes:
,Laßt fette Leute um mich ſein‘; — Cäſar war eben
ein Menſchenkenner und wußte, daß Dinge, wie Be¬
haglichkeit und Umgänglichkeit, eigentlich nur beim
Embonpoint ſind.“ Von einem ſolchen ließ ſich denn
nun bei beiden Mädchen auch wirklich ſprechen, nur
mit dem Unterſchiede, daß das in dieſem Falle nicht
gut zu umgehende Fremdwort bei Roswitha ſchon
ſtark eine Beſchönigung, bei Johanna dagegen einfach
die zutreffende Bezeichnung war. Dieſe letztere durfte
man nämlich nicht eigentlich korpulent nennen, ſie
war nur prall und drall und ſah jederzeit mit einer
eigenen, ihr übrigens durchaus kleidenden Siegermiene
gradlinig und blauäugig über ihre Normalbüſte fort.
Von Haltung und Anſtand getragen, lebte ſie ganz in
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