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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
ob die sechs oder sieben Jahre einen Eindruck auf
Sie machten. Es giebt eine Verjährungstheorie,
natürlich, aber ich weiß doch nicht, ob wir hier einen
Fall haben, diese Theorie gelten zu lassen."

"Ich weiß es auch nicht," sagte Wüllersdorf.
"Und ich bekenne Ihnen offen, um diese Frage scheint
sich hier alles zu drehen."

Innstetten sah ihn groß an. "Sie sagen das
in vollem Ernst?"

"In vollem Ernst. Es ist keine Sache, sich in
jeu d'esprit oder in dialektischen Spitzfindigkeiten
zu versuchen."

"Ich bin neugierig, wie Sie das meinen. Sagen
Sie mir offen, wie stehen Sie dazu?"

"Innstetten, Ihre Lage ist furchtbar, und Ihr
Lebensglück ist hin. Aber wenn Sie den Liebhaber
totschießen, ist Ihr Lebensglück so zu sagen doppelt
hin, und zu dem Schmerz über empfangenes Leid
kommt noch der Schmerz über gethanes Leid. Alles
dreht sich um die Frage, müssen Sie's durchaus
thun? Fühlen Sie sich so verletzt, beleidigt, empört,
daß einer weg muß, er oder Sie? Steht es so?"

"Ich weiß es nicht."

"Sie müssen es wissen."

Innstetten war aufgesprungen, trat ans Fenster
und tippte voll nervöser Erregung an die Scheiben.

Effi Brieſt
ob die ſechs oder ſieben Jahre einen Eindruck auf
Sie machten. Es giebt eine Verjährungstheorie,
natürlich, aber ich weiß doch nicht, ob wir hier einen
Fall haben, dieſe Theorie gelten zu laſſen.“

„Ich weiß es auch nicht,“ ſagte Wüllersdorf.
„Und ich bekenne Ihnen offen, um dieſe Frage ſcheint
ſich hier alles zu drehen.“

Innſtetten ſah ihn groß an. „Sie ſagen das
in vollem Ernſt?“

„In vollem Ernſt. Es iſt keine Sache, ſich in
jeu d'esprit oder in dialektiſchen Spitzfindigkeiten
zu verſuchen.“

„Ich bin neugierig, wie Sie das meinen. Sagen
Sie mir offen, wie ſtehen Sie dazu?“

„Innſtetten, Ihre Lage iſt furchtbar, und Ihr
Lebensglück iſt hin. Aber wenn Sie den Liebhaber
totſchießen, iſt Ihr Lebensglück ſo zu ſagen doppelt
hin, und zu dem Schmerz über empfangenes Leid
kommt noch der Schmerz über gethanes Leid. Alles
dreht ſich um die Frage, müſſen Sie's durchaus
thun? Fühlen Sie ſich ſo verletzt, beleidigt, empört,
daß einer weg muß, er oder Sie? Steht es ſo?“

„Ich weiß es nicht.“

„Sie müſſen es wiſſen.“

Innſtetten war aufgeſprungen, trat ans Fenſter
und tippte voll nervöſer Erregung an die Scheiben.

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[410/0419] Effi Brieſt ob die ſechs oder ſieben Jahre einen Eindruck auf Sie machten. Es giebt eine Verjährungstheorie, natürlich, aber ich weiß doch nicht, ob wir hier einen Fall haben, dieſe Theorie gelten zu laſſen.“ „Ich weiß es auch nicht,“ ſagte Wüllersdorf. „Und ich bekenne Ihnen offen, um dieſe Frage ſcheint ſich hier alles zu drehen.“ Innſtetten ſah ihn groß an. „Sie ſagen das in vollem Ernſt?“ „In vollem Ernſt. Es iſt keine Sache, ſich in jeu d'esprit oder in dialektiſchen Spitzfindigkeiten zu verſuchen.“ „Ich bin neugierig, wie Sie das meinen. Sagen Sie mir offen, wie ſtehen Sie dazu?“ „Innſtetten, Ihre Lage iſt furchtbar, und Ihr Lebensglück iſt hin. Aber wenn Sie den Liebhaber totſchießen, iſt Ihr Lebensglück ſo zu ſagen doppelt hin, und zu dem Schmerz über empfangenes Leid kommt noch der Schmerz über gethanes Leid. Alles dreht ſich um die Frage, müſſen Sie's durchaus thun? Fühlen Sie ſich ſo verletzt, beleidigt, empört, daß einer weg muß, er oder Sie? Steht es ſo?“ „Ich weiß es nicht.“ „Sie müſſen es wiſſen.“ Innſtetten war aufgeſprungen, trat ans Fenſter und tippte voll nervöſer Erregung an die Scheiben.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/419>, abgerufen am 22.11.2024.