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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
es: ,der gute Innstetten, er hat doch eine wahre
Passion, alle Beleidigungen auf ihren Beleidigungs¬
gehalt chemisch zu untersuchen, und das richtige
Quantum Stickstoff findet er nie. Er ist noch nie
an einer Sache erstickt' ... Habe ich recht, Wüllers¬
dorf, oder nicht?"

Wüllersdorf war aufgestanden. "Ich finde es
furchtbar, daß Sie recht haben, aber Sie haben
recht. Ich quäle Sie nicht länger mit meinem ,muß
es sein'. Die Welt ist einmal wie sie ist, und die
Dinge verlaufen nicht wie wir wollen, sondern wie
die andern wollen. Das mit dem ,Gottesgericht',
wie manche hochtrabend versichern, ist freilich ein
Unsinn, nichts davon, umgekehrt, unser Ehrenkultus
ist ein Götzendienst, aber wir müssen uns ihm unter¬
werfen, so lange der Götze gilt."

Innstetten nickte.

Sie blieben noch eine Viertelstunde miteinander,
und es wurde festgestellt, Wüllersdorf solle noch den¬
selben Abend abreisen. Ein Nachtzug ging um zwölf.

Dann trennten sie sich mit einem kurzen: "Auf
Wiedersehen in Kessin."


Effi Brieſt
es: ,der gute Innſtetten, er hat doch eine wahre
Paſſion, alle Beleidigungen auf ihren Beleidigungs¬
gehalt chemiſch zu unterſuchen, und das richtige
Quantum Stickſtoff findet er nie. Er iſt noch nie
an einer Sache erſtickt' … Habe ich recht, Wüllers¬
dorf, oder nicht?“

Wüllersdorf war aufgeſtanden. „Ich finde es
furchtbar, daß Sie recht haben, aber Sie haben
recht. Ich quäle Sie nicht länger mit meinem ,muß
es ſein‘. Die Welt iſt einmal wie ſie iſt, und die
Dinge verlaufen nicht wie wir wollen, ſondern wie
die andern wollen. Das mit dem ,Gottesgericht‘,
wie manche hochtrabend verſichern, iſt freilich ein
Unſinn, nichts davon, umgekehrt, unſer Ehrenkultus
iſt ein Götzendienſt, aber wir müſſen uns ihm unter¬
werfen, ſo lange der Götze gilt.“

Innſtetten nickte.

Sie blieben noch eine Viertelſtunde miteinander,
und es wurde feſtgeſtellt, Wüllersdorf ſolle noch den¬
ſelben Abend abreiſen. Ein Nachtzug ging um zwölf.

Dann trennten ſie ſich mit einem kurzen: „Auf
Wiederſehen in Keſſin.“


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[415/0424] Effi Brieſt es: ,der gute Innſtetten, er hat doch eine wahre Paſſion, alle Beleidigungen auf ihren Beleidigungs¬ gehalt chemiſch zu unterſuchen, und das richtige Quantum Stickſtoff findet er nie. Er iſt noch nie an einer Sache erſtickt' … Habe ich recht, Wüllers¬ dorf, oder nicht?“ Wüllersdorf war aufgeſtanden. „Ich finde es furchtbar, daß Sie recht haben, aber Sie haben recht. Ich quäle Sie nicht länger mit meinem ,muß es ſein‘. Die Welt iſt einmal wie ſie iſt, und die Dinge verlaufen nicht wie wir wollen, ſondern wie die andern wollen. Das mit dem ,Gottesgericht‘, wie manche hochtrabend verſichern, iſt freilich ein Unſinn, nichts davon, umgekehrt, unſer Ehrenkultus iſt ein Götzendienſt, aber wir müſſen uns ihm unter¬ werfen, ſo lange der Götze gilt.“ Innſtetten nickte. Sie blieben noch eine Viertelſtunde miteinander, und es wurde feſtgeſtellt, Wüllersdorf ſolle noch den¬ ſelben Abend abreiſen. Ein Nachtzug ging um zwölf. Dann trennten ſie ſich mit einem kurzen: „Auf Wiederſehen in Keſſin.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/424>, abgerufen am 22.11.2024.