ganzen. Und weil dieser Mitwisser da ist, kann ich nicht mehr zurück."
"Ich weiß doch nicht," wiederholte Wüllersdorf. "Ich mag nicht gerne zu der alten abgestandenen Phrase greifen, aber doch läßt sich's nicht besser sagen: Innstetten, es ruht alles in mir wie in einem Grabe."
"Ja, Wüllersdorf, so heißt es immer. Aber es giebt keine Verschwiegenheit. Und wenn Sie's wahr machen und gegen andere die Verschwiegenheit selber sind, so wissen Sie es, und es rettet mich nicht vor Ihnen, daß Sie mir eben Ihre Zustimmung aus¬ gedrückt und mir sogar gesagt haben: ich kann Ihnen in allem folgen. Ich bin, und dabei bleibt es, von diesem Augenblicke an ein Gegenstand Ihrer Teil¬ nahme (schon nicht etwas sehr Angenehmes), und jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechseln hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen oder nicht, und wenn meine Frau von Treue spricht oder, wie Frauen thun, über eine andere zu Gericht sitzt, so weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken hin soll. Und ereignet sich's gar, daß ich in irgend einer ganz alltäglichen Beleidigungssache zum guten rede, ,weil ja der dolus fehle' oder so 'was Ähn¬ liches, so geht ein Lächeln über Ihr Gesicht, oder es zuckt wenigstens darin, und in Ihrer Seele klingt
Effi Brieſt
ganzen. Und weil dieſer Mitwiſſer da iſt, kann ich nicht mehr zurück.“
„Ich weiß doch nicht,“ wiederholte Wüllersdorf. „Ich mag nicht gerne zu der alten abgeſtandenen Phraſe greifen, aber doch läßt ſich's nicht beſſer ſagen: Innſtetten, es ruht alles in mir wie in einem Grabe.“
„Ja, Wüllersdorf, ſo heißt es immer. Aber es giebt keine Verſchwiegenheit. Und wenn Sie's wahr machen und gegen andere die Verſchwiegenheit ſelber ſind, ſo wiſſen Sie es, und es rettet mich nicht vor Ihnen, daß Sie mir eben Ihre Zuſtimmung aus¬ gedrückt und mir ſogar geſagt haben: ich kann Ihnen in allem folgen. Ich bin, und dabei bleibt es, von dieſem Augenblicke an ein Gegenſtand Ihrer Teil¬ nahme (ſchon nicht etwas ſehr Angenehmes), und jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechſeln hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen oder nicht, und wenn meine Frau von Treue ſpricht oder, wie Frauen thun, über eine andere zu Gericht ſitzt, ſo weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken hin ſoll. Und ereignet ſich's gar, daß ich in irgend einer ganz alltäglichen Beleidigungsſache zum guten rede, ,weil ja der dolus fehle‘ oder ſo 'was Ähn¬ liches, ſo geht ein Lächeln über Ihr Geſicht, oder es zuckt wenigſtens darin, und in Ihrer Seele klingt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0423"n="414"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> ganzen. Und weil dieſer Mitwiſſer da iſt, kann ich<lb/>
nicht mehr zurück.“</p><lb/><p>„Ich weiß doch nicht,“ wiederholte Wüllersdorf.<lb/>„Ich mag nicht gerne zu der alten abgeſtandenen<lb/>
Phraſe greifen, aber doch läßt ſich's nicht beſſer<lb/>ſagen: Innſtetten, es ruht alles in mir wie in einem<lb/>
Grabe.“</p><lb/><p>„Ja, Wüllersdorf, ſo heißt es immer. Aber es<lb/>
giebt keine Verſchwiegenheit. Und wenn Sie's wahr<lb/>
machen und gegen andere die Verſchwiegenheit ſelber<lb/>ſind, ſo wiſſen <hirendition="#g">Sie</hi> es, und es rettet mich nicht vor<lb/>
Ihnen, daß Sie mir eben Ihre Zuſtimmung aus¬<lb/>
gedrückt und mir ſogar geſagt haben: ich kann Ihnen<lb/>
in allem folgen. Ich bin, und dabei bleibt es, von<lb/>
dieſem Augenblicke an ein Gegenſtand Ihrer Teil¬<lb/>
nahme (ſchon nicht etwas ſehr Angenehmes), und<lb/>
jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechſeln<lb/>
hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen<lb/>
oder nicht, und wenn meine Frau von Treue ſpricht<lb/>
oder, wie Frauen thun, über eine andere zu Gericht<lb/>ſitzt, ſo weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken<lb/>
hin ſoll. Und ereignet ſich's gar, daß ich in irgend<lb/>
einer ganz alltäglichen Beleidigungsſache zum guten<lb/>
rede, ,weil ja der <hirendition="#aq">dolus</hi> fehle‘ oder ſo 'was Ähn¬<lb/>
liches, ſo geht ein Lächeln über Ihr Geſicht, oder<lb/>
es zuckt wenigſtens darin, und in Ihrer Seele klingt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[414/0423]
Effi Brieſt
ganzen. Und weil dieſer Mitwiſſer da iſt, kann ich
nicht mehr zurück.“
„Ich weiß doch nicht,“ wiederholte Wüllersdorf.
„Ich mag nicht gerne zu der alten abgeſtandenen
Phraſe greifen, aber doch läßt ſich's nicht beſſer
ſagen: Innſtetten, es ruht alles in mir wie in einem
Grabe.“
„Ja, Wüllersdorf, ſo heißt es immer. Aber es
giebt keine Verſchwiegenheit. Und wenn Sie's wahr
machen und gegen andere die Verſchwiegenheit ſelber
ſind, ſo wiſſen Sie es, und es rettet mich nicht vor
Ihnen, daß Sie mir eben Ihre Zuſtimmung aus¬
gedrückt und mir ſogar geſagt haben: ich kann Ihnen
in allem folgen. Ich bin, und dabei bleibt es, von
dieſem Augenblicke an ein Gegenſtand Ihrer Teil¬
nahme (ſchon nicht etwas ſehr Angenehmes), und
jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechſeln
hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen
oder nicht, und wenn meine Frau von Treue ſpricht
oder, wie Frauen thun, über eine andere zu Gericht
ſitzt, ſo weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken
hin ſoll. Und ereignet ſich's gar, daß ich in irgend
einer ganz alltäglichen Beleidigungsſache zum guten
rede, ,weil ja der dolus fehle‘ oder ſo 'was Ähn¬
liches, ſo geht ein Lächeln über Ihr Geſicht, oder
es zuckt wenigſtens darin, und in Ihrer Seele klingt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/423>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.