nichts von Haß oder dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muß."
"Ich weiß doch nicht, Innstetten ..."
Innstetten lächelte. "Sie sollen selbst entscheiden, Wüllersdorf. Es ist jetzt zehn Uhr. Vor sechs Stunden, diese Konzession will ich Ihnen vorweg machen, hatt' ich das Spiel noch in der Hand, konnt' ich noch das eine und noch das andere, da war noch ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt stecke ich in einer Sackgasse. Wenn Sie wollen, so bin ich selber schuld daran; ich hätte mich besser beherrschen und bewachen, alles in mir verbergen, alles im eignen Herzen aus¬ kämpfen sollen. Aber es kam mir zu plötzlich, zu stark, und so kann ich mir kaum einen Vorwurf machen, meine Nerven nicht geschickter in Ordnung gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und schrieb Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus meiner Hand. Von dem Augenblicke an hatte mein Unglück und, was schwerer wiegt, der Fleck auf meiner Ehre einen halben Mitwisser, und nach den ersten Worten, die wir hier gewechselt, hat es einen
Effi Brieſt
nichts von Haß oder dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyranniſierende Geſellſchafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muß.“
„Ich weiß doch nicht, Innſtetten …“
Innſtetten lächelte. „Sie ſollen ſelbſt entſcheiden, Wüllersdorf. Es iſt jetzt zehn Uhr. Vor ſechs Stunden, dieſe Konzeſſion will ich Ihnen vorweg machen, hatt' ich das Spiel noch in der Hand, konnt' ich noch das eine und noch das andere, da war noch ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt ſtecke ich in einer Sackgaſſe. Wenn Sie wollen, ſo bin ich ſelber ſchuld daran; ich hätte mich beſſer beherrſchen und bewachen, alles in mir verbergen, alles im eignen Herzen aus¬ kämpfen ſollen. Aber es kam mir zu plötzlich, zu ſtark, und ſo kann ich mir kaum einen Vorwurf machen, meine Nerven nicht geſchickter in Ordnung gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und ſchrieb Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus meiner Hand. Von dem Augenblicke an hatte mein Unglück und, was ſchwerer wiegt, der Fleck auf meiner Ehre einen halben Mitwiſſer, und nach den erſten Worten, die wir hier gewechſelt, hat es einen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0422"n="413"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> nichts von Haß oder dergleichen, und um eines<lb/>
Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich<lb/>
nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn<lb/>
Sie wollen, uns tyranniſierende Geſellſchafts-Etwas,<lb/>
das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe<lb/>
und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl.<lb/>
Ich muß.“</p><lb/><p>„Ich weiß doch nicht, Innſtetten …“</p><lb/><p>Innſtetten lächelte. „Sie ſollen ſelbſt entſcheiden,<lb/>
Wüllersdorf. Es iſt jetzt zehn Uhr. Vor ſechs<lb/>
Stunden, dieſe Konzeſſion will ich Ihnen vorweg<lb/>
machen, hatt' ich das Spiel noch in der Hand, konnt'<lb/>
ich noch das eine und noch das andere, da war noch<lb/>
ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt ſtecke ich in einer<lb/>
Sackgaſſe. Wenn Sie wollen, ſo bin ich ſelber ſchuld<lb/>
daran; ich hätte mich beſſer beherrſchen und bewachen,<lb/>
alles in mir verbergen, alles im eignen Herzen aus¬<lb/>
kämpfen ſollen. Aber es kam mir zu plötzlich, zu<lb/>ſtark, und ſo kann ich mir kaum einen Vorwurf<lb/>
machen, meine Nerven nicht geſchickter in Ordnung<lb/>
gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und ſchrieb<lb/>
Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus<lb/>
meiner Hand. Von dem Augenblicke an hatte mein<lb/>
Unglück und, was ſchwerer wiegt, der Fleck auf<lb/>
meiner Ehre einen halben Mitwiſſer, und nach den<lb/>
erſten Worten, die wir hier gewechſelt, hat es einen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[413/0422]
Effi Brieſt
nichts von Haß oder dergleichen, und um eines
Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich
nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn
Sie wollen, uns tyranniſierende Geſellſchafts-Etwas,
das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe
und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl.
Ich muß.“
„Ich weiß doch nicht, Innſtetten …“
Innſtetten lächelte. „Sie ſollen ſelbſt entſcheiden,
Wüllersdorf. Es iſt jetzt zehn Uhr. Vor ſechs
Stunden, dieſe Konzeſſion will ich Ihnen vorweg
machen, hatt' ich das Spiel noch in der Hand, konnt'
ich noch das eine und noch das andere, da war noch
ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt ſtecke ich in einer
Sackgaſſe. Wenn Sie wollen, ſo bin ich ſelber ſchuld
daran; ich hätte mich beſſer beherrſchen und bewachen,
alles in mir verbergen, alles im eignen Herzen aus¬
kämpfen ſollen. Aber es kam mir zu plötzlich, zu
ſtark, und ſo kann ich mir kaum einen Vorwurf
machen, meine Nerven nicht geſchickter in Ordnung
gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und ſchrieb
Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus
meiner Hand. Von dem Augenblicke an hatte mein
Unglück und, was ſchwerer wiegt, der Fleck auf
meiner Ehre einen halben Mitwiſſer, und nach den
erſten Worten, die wir hier gewechſelt, hat es einen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/422>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.