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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Briefbogen, ja das waren eng geschriebene Zeilen
von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬
scheine mit einem breiten Papierstreifen drum herum,
auf dem mit Rotstift, und zwar von des Vaters
Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet
war. Sie schob das Konvolut zurück und begann
zu lesen, während sie sich in den Schaukelstuhl zurück¬
lehnte. Aber sie kam nicht weit, die Zeilen entfielen
ihr, und aus ihrem Gesicht war alles Blut fort.
Dann bückte sie sich und nahm den Brief wieder auf.

"Was ist Ihnen, liebe Freundin? Schlechte
Nachrichten?"

Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und
bat nur, ihr ein Glas Wasser reichen zu wollen.
Als sie getrunken, sagte sie: "Es wird vorüber gehen,
liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen
Augenblick zurückziehen ... Wenn Sie mir Afra
schicken könnten."

Und nun erhob sie sich und trat in den Salon
zurück, wo sie sichtlich froh war, einen Halt gewinnen
und sich an dem Polysanderflügel entlang fühlen zu
können. So kam sie bis an ihr nach rechts hin ge¬
legenes Zimmer, und als sie hier, tappend und suchend,
die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬
über erreicht hatte, brach sie ohnmächtig zusammen.


Effi Brieſt
Briefbogen, ja das waren eng geſchriebene Zeilen
von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬
ſcheine mit einem breiten Papierſtreifen drum herum,
auf dem mit Rotſtift, und zwar von des Vaters
Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet
war. Sie ſchob das Konvolut zurück und begann
zu leſen, während ſie ſich in den Schaukelſtuhl zurück¬
lehnte. Aber ſie kam nicht weit, die Zeilen entfielen
ihr, und aus ihrem Geſicht war alles Blut fort.
Dann bückte ſie ſich und nahm den Brief wieder auf.

„Was iſt Ihnen, liebe Freundin? Schlechte
Nachrichten?“

Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und
bat nur, ihr ein Glas Waſſer reichen zu wollen.
Als ſie getrunken, ſagte ſie: „Es wird vorüber gehen,
liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen
Augenblick zurückziehen … Wenn Sie mir Afra
ſchicken könnten.“

Und nun erhob ſie ſich und trat in den Salon
zurück, wo ſie ſichtlich froh war, einen Halt gewinnen
und ſich an dem Polyſanderflügel entlang fühlen zu
können. So kam ſie bis an ihr nach rechts hin ge¬
legenes Zimmer, und als ſie hier, tappend und ſuchend,
die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬
über erreicht hatte, brach ſie ohnmächtig zuſammen.


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[445/0454] Effi Brieſt Briefbogen, ja das waren eng geſchriebene Zeilen von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬ ſcheine mit einem breiten Papierſtreifen drum herum, auf dem mit Rotſtift, und zwar von des Vaters Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet war. Sie ſchob das Konvolut zurück und begann zu leſen, während ſie ſich in den Schaukelſtuhl zurück¬ lehnte. Aber ſie kam nicht weit, die Zeilen entfielen ihr, und aus ihrem Geſicht war alles Blut fort. Dann bückte ſie ſich und nahm den Brief wieder auf. „Was iſt Ihnen, liebe Freundin? Schlechte Nachrichten?“ Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und bat nur, ihr ein Glas Waſſer reichen zu wollen. Als ſie getrunken, ſagte ſie: „Es wird vorüber gehen, liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen Augenblick zurückziehen … Wenn Sie mir Afra ſchicken könnten.“ Und nun erhob ſie ſich und trat in den Salon zurück, wo ſie ſichtlich froh war, einen Halt gewinnen und ſich an dem Polyſanderflügel entlang fühlen zu können. So kam ſie bis an ihr nach rechts hin ge¬ legenes Zimmer, und als ſie hier, tappend und ſuchend, die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬ über erreicht hatte, brach ſie ohnmächtig zuſammen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/454>, abgerufen am 22.11.2024.