Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest Tage vorüber waren, empfand sie doch deutlich, daßdie hier herrschende Gesamtatmosphäre, die physische wie die moralische, nicht wohl ertragbar für sie sei. Bei Tisch waren sie zumeist zu sieben, und zwar außer Effi und der einen Pensionsvorsteherin (die andere leitete draußen das Wirtschaftliche) zwei die Hochschule besuchende Engländerinnen, eine adelige Dame aus Sachsen, eine sehr hübsche galizische Jüdin, von der niemand wußte, was sie eigentlich vorhatte, und eine Kantorstochter aus Polzin in Pommern, die Malerin werden wollte. Das war eine schlimme Zusammensetzung, und die gegenseitigen Überheblich¬ keiten, bei denen die Engländerinnen merkwürdiger¬ weise nicht absolut obenan standen, sondern mit der vom höchsten Malergefühl erfüllten Polzinerin um die Palme rangen, waren unerquicklich; dennoch wäre Effi, die sich passiv verhielt, über den Druck, den diese geistige Atmosphäre übte, hinweggekommen, wenn nicht, rein physisch und äußerlich, die sich hinzu¬ gesellende Pensionsluft gewesen wäre. Woraus sich diese eigentlich zusammensetzte, war vielleicht überhaupt unerforschlich, aber daß sie der sehr empfindlichen Effi den Atem raubte, war nur zu gewiß, und so sah sie sich, aus diesem äußerlichen Grunde, sehr bald schon zur Aus- und Umschau nach einer anderen Wohnung gezwungen, die sie denn auch in verhältnis¬ Effi Brieſt Tage vorüber waren, empfand ſie doch deutlich, daßdie hier herrſchende Geſamtatmoſphäre, die phyſiſche wie die moraliſche, nicht wohl ertragbar für ſie ſei. Bei Tiſch waren ſie zumeiſt zu ſieben, und zwar außer Effi und der einen Penſionsvorſteherin (die andere leitete draußen das Wirtſchaftliche) zwei die Hochſchule beſuchende Engländerinnen, eine adelige Dame aus Sachſen, eine ſehr hübſche galiziſche Jüdin, von der niemand wußte, was ſie eigentlich vorhatte, und eine Kantorstochter aus Polzin in Pommern, die Malerin werden wollte. Das war eine ſchlimme Zuſammenſetzung, und die gegenſeitigen Überheblich¬ keiten, bei denen die Engländerinnen merkwürdiger¬ weiſe nicht abſolut obenan ſtanden, ſondern mit der vom höchſten Malergefühl erfüllten Polzinerin um die Palme rangen, waren unerquicklich; dennoch wäre Effi, die ſich paſſiv verhielt, über den Druck, den dieſe geiſtige Atmoſphäre übte, hinweggekommen, wenn nicht, rein phyſiſch und äußerlich, die ſich hinzu¬ geſellende Penſionsluft geweſen wäre. Woraus ſich dieſe eigentlich zuſammenſetzte, war vielleicht überhaupt unerforſchlich, aber daß ſie der ſehr empfindlichen Effi den Atem raubte, war nur zu gewiß, und ſo ſah ſie ſich, aus dieſem äußerlichen Grunde, ſehr bald ſchon zur Aus- und Umſchau nach einer anderen Wohnung gezwungen, die ſie denn auch in verhältnis¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0467" n="458"/><fw place="top" type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> Tage vorüber waren, empfand ſie doch deutlich, daß<lb/> die hier herrſchende Geſamtatmoſphäre, die phyſiſche<lb/> wie die moraliſche, nicht wohl ertragbar für ſie ſei.<lb/> Bei Tiſch waren ſie zumeiſt zu ſieben, und zwar<lb/> außer Effi und der einen Penſionsvorſteherin (die<lb/> andere leitete draußen das Wirtſchaftliche) zwei die<lb/> Hochſchule beſuchende Engländerinnen, eine adelige<lb/> Dame aus Sachſen, eine ſehr hübſche galiziſche Jüdin,<lb/> von der niemand wußte, was ſie eigentlich vorhatte,<lb/> und eine Kantorstochter aus Polzin in Pommern,<lb/> die Malerin werden wollte. Das war eine ſchlimme<lb/> Zuſammenſetzung, und die gegenſeitigen Überheblich¬<lb/> keiten, bei denen die Engländerinnen merkwürdiger¬<lb/> weiſe nicht abſolut obenan ſtanden, ſondern mit der<lb/> vom höchſten Malergefühl erfüllten Polzinerin um<lb/> die Palme rangen, waren unerquicklich; dennoch wäre<lb/> Effi, die ſich paſſiv verhielt, über den Druck, den<lb/> dieſe geiſtige Atmoſphäre übte, hinweggekommen, wenn<lb/> nicht, rein phyſiſch und äußerlich, die ſich hinzu¬<lb/> geſellende Penſionsluft geweſen wäre. Woraus ſich<lb/> dieſe eigentlich zuſammenſetzte, war vielleicht überhaupt<lb/> unerforſchlich, aber daß ſie der ſehr empfindlichen<lb/> Effi den Atem raubte, war nur zu gewiß, und<lb/> ſo ſah ſie ſich, aus dieſem äußerlichen Grunde, ſehr<lb/> bald ſchon zur Aus- und Umſchau nach einer anderen<lb/> Wohnung gezwungen, die ſie denn auch in verhältnis¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [458/0467]
Effi Brieſt
Tage vorüber waren, empfand ſie doch deutlich, daß
die hier herrſchende Geſamtatmoſphäre, die phyſiſche
wie die moraliſche, nicht wohl ertragbar für ſie ſei.
Bei Tiſch waren ſie zumeiſt zu ſieben, und zwar
außer Effi und der einen Penſionsvorſteherin (die
andere leitete draußen das Wirtſchaftliche) zwei die
Hochſchule beſuchende Engländerinnen, eine adelige
Dame aus Sachſen, eine ſehr hübſche galiziſche Jüdin,
von der niemand wußte, was ſie eigentlich vorhatte,
und eine Kantorstochter aus Polzin in Pommern,
die Malerin werden wollte. Das war eine ſchlimme
Zuſammenſetzung, und die gegenſeitigen Überheblich¬
keiten, bei denen die Engländerinnen merkwürdiger¬
weiſe nicht abſolut obenan ſtanden, ſondern mit der
vom höchſten Malergefühl erfüllten Polzinerin um
die Palme rangen, waren unerquicklich; dennoch wäre
Effi, die ſich paſſiv verhielt, über den Druck, den
dieſe geiſtige Atmoſphäre übte, hinweggekommen, wenn
nicht, rein phyſiſch und äußerlich, die ſich hinzu¬
geſellende Penſionsluft geweſen wäre. Woraus ſich
dieſe eigentlich zuſammenſetzte, war vielleicht überhaupt
unerforſchlich, aber daß ſie der ſehr empfindlichen
Effi den Atem raubte, war nur zu gewiß, und
ſo ſah ſie ſich, aus dieſem äußerlichen Grunde, ſehr
bald ſchon zur Aus- und Umſchau nach einer anderen
Wohnung gezwungen, die ſie denn auch in verhältnis¬
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