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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Pferdebahnwagen. Roswitha war unzufrieden, daß
Mutter und Tochter keine Wiedersehensßene gefeiert
hatten und ließ sich nur ungern überzeugen, daß
das, in Gegenwart so vieler Menschen, nicht wohl
angegangen sei. Dann mußte Effi erzählen, wie
Annie ausgesehen habe, und als sie das mit mütter¬
lichem Stolze gethan, sagte Roswitha: "Ja, sie ist
so halb und halb. Das Hübsche und, wenn ich es
sagen darf, das Sonderbare, das hat sie von der
Mama; aber das Ernste, das ist ganz der Papa.
Und wenn ich mir so alles überlege, ist sie doch
wohl mehr wie der gnädige Herr."

"Gott sei Dank!" sagte Effi.

"Na, gnäd'ge Frau, das ist nu doch auch noch
die Frage. Und da wird ja wohl mancher sein, der
mehr für die Mama ist."

"Glaubst Du, Roswitha? Ich glaube es nicht."

"Na, na, ich lasse mir nichts vormachen, und
ich glaube, die gnädige Frau weiß auch ganz gut,
wie's eigentlich ist und was die Männer am liebsten
haben."

"Ach, sprich nicht davon, Roswitha."

Damit brach das Gespräch ab und wurde auch
nicht wieder aufgenommen. Aber Effi, wenn sie's
auch vermied, grade über Annie mit Roswitha zu
sprechen, konnte die Begegnung in ihrem Herzen doch

Effi Brieſt
Pferdebahnwagen. Roswitha war unzufrieden, daß
Mutter und Tochter keine Wiederſehensſzene gefeiert
hatten und ließ ſich nur ungern überzeugen, daß
das, in Gegenwart ſo vieler Menſchen, nicht wohl
angegangen ſei. Dann mußte Effi erzählen, wie
Annie ausgeſehen habe, und als ſie das mit mütter¬
lichem Stolze gethan, ſagte Roswitha: „Ja, ſie iſt
ſo halb und halb. Das Hübſche und, wenn ich es
ſagen darf, das Sonderbare, das hat ſie von der
Mama; aber das Ernſte, das iſt ganz der Papa.
Und wenn ich mir ſo alles überlege, iſt ſie doch
wohl mehr wie der gnädige Herr.“

„Gott ſei Dank!“ ſagte Effi.

„Na, gnäd'ge Frau, das iſt nu doch auch noch
die Frage. Und da wird ja wohl mancher ſein, der
mehr für die Mama iſt.“

„Glaubſt Du, Roswitha? Ich glaube es nicht.“

„Na, na, ich laſſe mir nichts vormachen, und
ich glaube, die gnädige Frau weiß auch ganz gut,
wie's eigentlich iſt und was die Männer am liebſten
haben.“

„Ach, ſprich nicht davon, Roswitha.“

Damit brach das Geſpräch ab und wurde auch
nicht wieder aufgenommen. Aber Effi, wenn ſie's
auch vermied, grade über Annie mit Roswitha zu
ſprechen, konnte die Begegnung in ihrem Herzen doch

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[471/0480] Effi Brieſt Pferdebahnwagen. Roswitha war unzufrieden, daß Mutter und Tochter keine Wiederſehensſzene gefeiert hatten und ließ ſich nur ungern überzeugen, daß das, in Gegenwart ſo vieler Menſchen, nicht wohl angegangen ſei. Dann mußte Effi erzählen, wie Annie ausgeſehen habe, und als ſie das mit mütter¬ lichem Stolze gethan, ſagte Roswitha: „Ja, ſie iſt ſo halb und halb. Das Hübſche und, wenn ich es ſagen darf, das Sonderbare, das hat ſie von der Mama; aber das Ernſte, das iſt ganz der Papa. Und wenn ich mir ſo alles überlege, iſt ſie doch wohl mehr wie der gnädige Herr.“ „Gott ſei Dank!“ ſagte Effi. „Na, gnäd'ge Frau, das iſt nu doch auch noch die Frage. Und da wird ja wohl mancher ſein, der mehr für die Mama iſt.“ „Glaubſt Du, Roswitha? Ich glaube es nicht.“ „Na, na, ich laſſe mir nichts vormachen, und ich glaube, die gnädige Frau weiß auch ganz gut, wie's eigentlich iſt und was die Männer am liebſten haben.“ „Ach, ſprich nicht davon, Roswitha.“ Damit brach das Geſpräch ab und wurde auch nicht wieder aufgenommen. Aber Effi, wenn ſie's auch vermied, grade über Annie mit Roswitha zu ſprechen, konnte die Begegnung in ihrem Herzen doch

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/480>, abgerufen am 22.11.2024.