Verstand, aber Du kannst doch nicht an solche Fragen ..."
"Eigentlich nicht."
"Und wenn denn schon überhaupt Fragen gestellt werden sollen, da giebt es ganz andere, Briest, und ich kann Dir sagen, es vergeht kein Tag, seit das arme Kind da liegt, wo mir solche Fragen nicht gekommen wären ..."
"Welche Fragen?"
"Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind?"
"Unsinn, Luise. Wie meinst Du das?"
"Ob wir sie nicht anders in Zucht hätten nehmen müssen. Gerade wir. Denn Niemeyer ist doch eigentlich eine Null, weil er alles in Zweifel läßt. Und dann, Briest, so leid es mir thut ... Deine beständigen Zweideutigkeiten ... und zuletzt, womit ich mich selbst anklage, denn ich will nicht schuldlos ausgehen in dieser Sache, ob sie nicht doch vielleicht zu jung war?"
Rollo, der bei diesen Worten aufwachte, schüttelte den Kopf langsam hin und her, und Briest sagte ruhig: "Ach, Luise, laß ... das ist ein zu weites Feld."
Druck von Oskar Bonde in Altenburg.
Effi Brieſt
Verſtand, aber Du kannſt doch nicht an ſolche Fragen …“
„Eigentlich nicht.“
„Und wenn denn ſchon überhaupt Fragen geſtellt werden ſollen, da giebt es ganz andere, Brieſt, und ich kann Dir ſagen, es vergeht kein Tag, ſeit das arme Kind da liegt, wo mir ſolche Fragen nicht gekommen wären …“
„Welche Fragen?“
„Ob wir nicht doch vielleicht ſchuld ſind?“
„Unſinn, Luiſe. Wie meinſt Du das?“
„Ob wir ſie nicht anders in Zucht hätten nehmen müſſen. Gerade wir. Denn Niemeyer iſt doch eigentlich eine Null, weil er alles in Zweifel läßt. Und dann, Brieſt, ſo leid es mir thut … Deine beſtändigen Zweideutigkeiten … und zuletzt, womit ich mich ſelbſt anklage, denn ich will nicht ſchuldlos ausgehen in dieſer Sache, ob ſie nicht doch vielleicht zu jung war?“
Rollo, der bei dieſen Worten aufwachte, ſchüttelte den Kopf langſam hin und her, und Brieſt ſagte ruhig: „Ach, Luiſe, laß … das iſt ein zu weites Feld.“
Druck von Oskar Bonde in Altenburg.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0529"n="520"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> Verſtand, aber Du kannſt doch nicht an ſolche<lb/>
Fragen …“</p><lb/><p>„Eigentlich nicht.“</p><lb/><p>„Und wenn denn ſchon überhaupt Fragen geſtellt<lb/>
werden ſollen, da giebt es ganz andere, Brieſt, und<lb/>
ich kann Dir ſagen, es vergeht kein Tag, ſeit das<lb/>
arme Kind da liegt, wo mir ſolche Fragen nicht<lb/>
gekommen wären …“</p><lb/><p>„Welche Fragen?“</p><lb/><p>„Ob wir nicht doch vielleicht ſchuld ſind?“</p><lb/><p>„Unſinn, Luiſe. Wie meinſt Du das?“</p><lb/><p>„Ob wir ſie nicht anders in Zucht hätten<lb/>
nehmen müſſen. Gerade wir. Denn Niemeyer iſt<lb/>
doch eigentlich eine Null, weil er alles in Zweifel<lb/>
läßt. Und dann, Brieſt, ſo leid es mir thut … Deine<lb/>
beſtändigen Zweideutigkeiten … und zuletzt, womit<lb/>
ich mich ſelbſt anklage, denn ich will nicht ſchuldlos<lb/>
ausgehen in dieſer Sache, ob ſie nicht doch vielleicht<lb/>
zu jung war?“</p><lb/><p>Rollo, der bei dieſen Worten aufwachte, ſchüttelte<lb/>
den Kopf langſam hin und her, und Brieſt ſagte<lb/>
ruhig: „Ach, Luiſe, laß … das iſt ein zu weites<lb/>
Feld.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body><back><divtype="imprint"><prendition="#c">Druck von Oskar Bonde in Altenburg.</p><lb/></div></back></text></TEI>
[520/0529]
Effi Brieſt
Verſtand, aber Du kannſt doch nicht an ſolche
Fragen …“
„Eigentlich nicht.“
„Und wenn denn ſchon überhaupt Fragen geſtellt
werden ſollen, da giebt es ganz andere, Brieſt, und
ich kann Dir ſagen, es vergeht kein Tag, ſeit das
arme Kind da liegt, wo mir ſolche Fragen nicht
gekommen wären …“
„Welche Fragen?“
„Ob wir nicht doch vielleicht ſchuld ſind?“
„Unſinn, Luiſe. Wie meinſt Du das?“
„Ob wir ſie nicht anders in Zucht hätten
nehmen müſſen. Gerade wir. Denn Niemeyer iſt
doch eigentlich eine Null, weil er alles in Zweifel
läßt. Und dann, Brieſt, ſo leid es mir thut … Deine
beſtändigen Zweideutigkeiten … und zuletzt, womit
ich mich ſelbſt anklage, denn ich will nicht ſchuldlos
ausgehen in dieſer Sache, ob ſie nicht doch vielleicht
zu jung war?“
Rollo, der bei dieſen Worten aufwachte, ſchüttelte
den Kopf langſam hin und her, und Brieſt ſagte
ruhig: „Ach, Luiſe, laß … das iſt ein zu weites
Feld.“
Druck von Oskar Bonde in Altenburg.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/529>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.