"Ich dachte, Du meintest Innstetten. Aber jedenfalls ist es an der Zeit, endlich zu wissen, was er schreibt ... Du hast ja den Brief noch in der Tasche."
"Richtig. Den hätt' ich fast vergessen." Und sie öffnete den Brief und überflog ihn.
"Nun, Effi, kein Wort? Du strahlst nicht und lachst nicht einmal. Und er schreibt doch immer so heiter und unterhaltlich und gar nicht väterlich weise."
"Das würd' ich mir auch verbitten. Er hat sein Alter, und ich habe meine Jugend. Und ich würde ihm mit den Fingern drohen und ihm sagen: ,Geert, überlege, was besser ist'."
"Und dann würde er Dir antworten: ,Was Du hast, Effi, das ist das Bessere'. Denn er ist nicht nur ein Mann der feinsten Formen, er ist auch gerecht und verständig und weiß recht gut, was Jugend bedeutet. Er sagt sich das immer und stimmt sich auf das Jugendliche hin, und wenn er in der Ehe so bleibt, so werdet ihr eine Musterehe führen."
"Ja, das glaube ich auch, Mama. Aber kannst Du Dir vorstellen, und ich schäme mich fast, es zu sagen, ich bin nicht so sehr für das, was man eine Musterehe nennt."
Effi Brieſt
„Wer?“
„Nun, Dagobert.“
„Ich dachte, Du meinteſt Innſtetten. Aber jedenfalls iſt es an der Zeit, endlich zu wiſſen, was er ſchreibt … Du haſt ja den Brief noch in der Taſche.“
„Richtig. Den hätt' ich faſt vergeſſen.“ Und ſie öffnete den Brief und überflog ihn.
„Nun, Effi, kein Wort? Du ſtrahlſt nicht und lachſt nicht einmal. Und er ſchreibt doch immer ſo heiter und unterhaltlich und gar nicht väterlich weiſe.“
„Das würd' ich mir auch verbitten. Er hat ſein Alter, und ich habe meine Jugend. Und ich würde ihm mit den Fingern drohen und ihm ſagen: ,Geert, überlege, was beſſer iſt‘.“
„Und dann würde er Dir antworten: ,Was Du haſt, Effi, das iſt das Beſſere'. Denn er iſt nicht nur ein Mann der feinſten Formen, er iſt auch gerecht und verſtändig und weiß recht gut, was Jugend bedeutet. Er ſagt ſich das immer und ſtimmt ſich auf das Jugendliche hin, und wenn er in der Ehe ſo bleibt, ſo werdet ihr eine Muſterehe führen.“
„Ja, das glaube ich auch, Mama. Aber kannſt Du Dir vorſtellen, und ich ſchäme mich faſt, es zu ſagen, ich bin nicht ſo ſehr für das, was man eine Muſterehe nennt.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0054"n="45"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw><p>„Wer?“</p><lb/><p>„Nun, Dagobert.“</p><lb/><p>„Ich dachte, Du meinteſt Innſtetten. Aber<lb/>
jedenfalls iſt es an der Zeit, endlich zu wiſſen, was<lb/>
er ſchreibt … Du haſt ja den Brief noch in der<lb/>
Taſche.“</p><lb/><p>„Richtig. Den hätt' ich faſt vergeſſen.“ Und<lb/>ſie öffnete den Brief und überflog ihn.</p><lb/><p>„Nun, Effi, kein Wort? Du ſtrahlſt nicht und<lb/>
lachſt nicht einmal. Und er ſchreibt doch immer ſo<lb/>
heiter und unterhaltlich und gar nicht väterlich weiſe.“</p><lb/><p>„Das würd' ich mir auch verbitten. Er hat<lb/>ſein Alter, und ich habe meine Jugend. Und ich<lb/>
würde ihm mit den Fingern drohen und ihm ſagen:<lb/>
,Geert, überlege, was beſſer iſt‘.“</p><lb/><p>„Und dann würde er Dir antworten: ,Was<lb/>
Du haſt, Effi, das iſt das Beſſere'. Denn er iſt<lb/>
nicht nur ein Mann der feinſten Formen, er iſt auch<lb/>
gerecht und verſtändig und weiß recht gut, was<lb/>
Jugend bedeutet. Er ſagt ſich das immer und ſtimmt<lb/>ſich auf das Jugendliche hin, und wenn er in der<lb/>
Ehe ſo bleibt, ſo werdet ihr eine Muſterehe führen.“</p><lb/><p>„Ja, das glaube ich auch, Mama. Aber kannſt<lb/>
Du Dir vorſtellen, und ich ſchäme mich faſt, es zu<lb/>ſagen, ich bin nicht ſo ſehr für das, was man eine<lb/>
Muſterehe nennt.“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[45/0054]
Effi Brieſt
„Wer?“
„Nun, Dagobert.“
„Ich dachte, Du meinteſt Innſtetten. Aber
jedenfalls iſt es an der Zeit, endlich zu wiſſen, was
er ſchreibt … Du haſt ja den Brief noch in der
Taſche.“
„Richtig. Den hätt' ich faſt vergeſſen.“ Und
ſie öffnete den Brief und überflog ihn.
„Nun, Effi, kein Wort? Du ſtrahlſt nicht und
lachſt nicht einmal. Und er ſchreibt doch immer ſo
heiter und unterhaltlich und gar nicht väterlich weiſe.“
„Das würd' ich mir auch verbitten. Er hat
ſein Alter, und ich habe meine Jugend. Und ich
würde ihm mit den Fingern drohen und ihm ſagen:
,Geert, überlege, was beſſer iſt‘.“
„Und dann würde er Dir antworten: ,Was
Du haſt, Effi, das iſt das Beſſere'. Denn er iſt
nicht nur ein Mann der feinſten Formen, er iſt auch
gerecht und verſtändig und weiß recht gut, was
Jugend bedeutet. Er ſagt ſich das immer und ſtimmt
ſich auf das Jugendliche hin, und wenn er in der
Ehe ſo bleibt, ſo werdet ihr eine Muſterehe führen.“
„Ja, das glaube ich auch, Mama. Aber kannſt
Du Dir vorſtellen, und ich ſchäme mich faſt, es zu
ſagen, ich bin nicht ſo ſehr für das, was man eine
Muſterehe nennt.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/54>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.