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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Welt Ecken und Enden. Auch in unserem guten Kessin,
trotzdem es eigentlich nur ein Nest ist."

"Aber das ist ja entzückend, Geert. Du sprichst
immer von Nest, und nun finde ich, wenn Du nicht
übertrieben hast, eine ganz neue Welt hier. Allerlei
Exotisches. Nicht wahr, so was Ähnliches meintest
Du doch?"

Er nickte.

"Eine ganz neue Welt, sag' ich, vielleicht einen
Neger oder einen Türken, oder vielleicht sogar einen
Chinesen."

"Auch einen Chinesen. Wie gut Du raten
kannst. Es ist möglich, daß wir wirklich noch einen
haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt
ist er tot und auf einem kleinen eingegitterten Stück
Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn
Du nicht furchtsam bist, will ich Dir bei Gelegenheit
'mal sein Grab zeigen; es liegt zwischen den Dünen,
bloß Strandhafer drum 'rum und dann und wann
ein paar Immortellen, und immer hört man das
Meer. Es ist sehr schön und sehr schauerlich."

"Ja, schauerlich, und ich möchte wohl mehr
davon wissen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann
immer gleich Visionen und Träume und möchte doch
nicht, wenn ich diese Nacht hoffentlich gut schlafe,
gleich einen Chinesen an mein Bett treten sehen."

Effi Brieſt
Welt Ecken und Enden. Auch in unſerem guten Keſſin,
trotzdem es eigentlich nur ein Neſt iſt.“

„Aber das iſt ja entzückend, Geert. Du ſprichſt
immer von Neſt, und nun finde ich, wenn Du nicht
übertrieben haſt, eine ganz neue Welt hier. Allerlei
Exotiſches. Nicht wahr, ſo was Ähnliches meinteſt
Du doch?“

Er nickte.

„Eine ganz neue Welt, ſag' ich, vielleicht einen
Neger oder einen Türken, oder vielleicht ſogar einen
Chineſen.“

„Auch einen Chineſen. Wie gut Du raten
kannſt. Es iſt möglich, daß wir wirklich noch einen
haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt
iſt er tot und auf einem kleinen eingegitterten Stück
Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn
Du nicht furchtſam biſt, will ich Dir bei Gelegenheit
'mal ſein Grab zeigen; es liegt zwiſchen den Dünen,
bloß Strandhafer drum 'rum und dann und wann
ein paar Immortellen, und immer hört man das
Meer. Es iſt ſehr ſchön und ſehr ſchauerlich.“

„Ja, ſchauerlich, und ich möchte wohl mehr
davon wiſſen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann
immer gleich Viſionen und Träume und möchte doch
nicht, wenn ich dieſe Nacht hoffentlich gut ſchlafe,
gleich einen Chineſen an mein Bett treten ſehen.“

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[70/0079] Effi Brieſt Welt Ecken und Enden. Auch in unſerem guten Keſſin, trotzdem es eigentlich nur ein Neſt iſt.“ „Aber das iſt ja entzückend, Geert. Du ſprichſt immer von Neſt, und nun finde ich, wenn Du nicht übertrieben haſt, eine ganz neue Welt hier. Allerlei Exotiſches. Nicht wahr, ſo was Ähnliches meinteſt Du doch?“ Er nickte. „Eine ganz neue Welt, ſag' ich, vielleicht einen Neger oder einen Türken, oder vielleicht ſogar einen Chineſen.“ „Auch einen Chineſen. Wie gut Du raten kannſt. Es iſt möglich, daß wir wirklich noch einen haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt iſt er tot und auf einem kleinen eingegitterten Stück Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn Du nicht furchtſam biſt, will ich Dir bei Gelegenheit 'mal ſein Grab zeigen; es liegt zwiſchen den Dünen, bloß Strandhafer drum 'rum und dann und wann ein paar Immortellen, und immer hört man das Meer. Es iſt ſehr ſchön und ſehr ſchauerlich.“ „Ja, ſchauerlich, und ich möchte wohl mehr davon wiſſen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann immer gleich Viſionen und Träume und möchte doch nicht, wenn ich dieſe Nacht hoffentlich gut ſchlafe, gleich einen Chineſen an mein Bett treten ſehen.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/79>, abgerufen am 14.05.2024.