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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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und genoß eine kostbare Stunde. War das nicht
genug? Und wenn diese Stunde die letzte war, nun
so war sie die letzte. War es nicht schon ein Vor¬
zug, einen solchen Tag durchleben zu können? Und
wenn auch nur einmal, ein einzig Mal.

So schwanden ihr alle Betrachtungen von Leid
und Sorge, die sonst wohl, ihr selbst zum Trotz,
ihre Seele bedrückten und alles, was sie fühlte, war
Stolz, Freude, Dank. Aber sie sagte nichts, sie
war abergläubisch und wollte das Glück nicht be¬
reden und nur an einem leisen Zittern ihres Arms
gewahrte Botho, wie das Wort "ich glaube, Du
bist glücklich, Lene" ihr das innerste Herz getroffen
hatte.

Der Wirth kam und erkundigte sich artig, wenn
auch mit einem Anfluge von Verlegenheit, nach ihrer
Nachtruhe.

"Vorzüglich," sagte Botho, "Der Melissenthee,
den Ihre liebe Frau verordnet, hat wahre Wunder
gethan und die Mondsichel, die uns gerade ins
Fenster schien, und die Nachtigallen, die leise schlugen,
so leise, daß man sie nur eben noch hören konnte,
ja wer wollte da nicht schlafen wie im Paradiese?
Hoffentlich wird sich kein Spreedampfer mit 240
Gästen für heute Nachmittag angemeldet haben. Das
wäre dann freilich die Vertreibung aus dem Paradiese.
Sie lächeln und denken "wer weiß" und vielleicht

und genoß eine koſtbare Stunde. War das nicht
genug? Und wenn dieſe Stunde die letzte war, nun
ſo war ſie die letzte. War es nicht ſchon ein Vor¬
zug, einen ſolchen Tag durchleben zu können? Und
wenn auch nur einmal, ein einzig Mal.

So ſchwanden ihr alle Betrachtungen von Leid
und Sorge, die ſonſt wohl, ihr ſelbſt zum Trotz,
ihre Seele bedrückten und alles, was ſie fühlte, war
Stolz, Freude, Dank. Aber ſie ſagte nichts, ſie
war abergläubiſch und wollte das Glück nicht be¬
reden und nur an einem leiſen Zittern ihres Arms
gewahrte Botho, wie das Wort „ich glaube, Du
biſt glücklich, Lene“ ihr das innerſte Herz getroffen
hatte.

Der Wirth kam und erkundigte ſich artig, wenn
auch mit einem Anfluge von Verlegenheit, nach ihrer
Nachtruhe.

„Vorzüglich,“ ſagte Botho, „Der Meliſſenthee,
den Ihre liebe Frau verordnet, hat wahre Wunder
gethan und die Mondſichel, die uns gerade ins
Fenſter ſchien, und die Nachtigallen, die leiſe ſchlugen,
ſo leiſe, daß man ſie nur eben noch hören konnte,
ja wer wollte da nicht ſchlafen wie im Paradieſe?
Hoffentlich wird ſich kein Spreedampfer mit 240
Gäſten für heute Nachmittag angemeldet haben. Das
wäre dann freilich die Vertreibung aus dem Paradieſe.
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[126/0136] und genoß eine koſtbare Stunde. War das nicht genug? Und wenn dieſe Stunde die letzte war, nun ſo war ſie die letzte. War es nicht ſchon ein Vor¬ zug, einen ſolchen Tag durchleben zu können? Und wenn auch nur einmal, ein einzig Mal. So ſchwanden ihr alle Betrachtungen von Leid und Sorge, die ſonſt wohl, ihr ſelbſt zum Trotz, ihre Seele bedrückten und alles, was ſie fühlte, war Stolz, Freude, Dank. Aber ſie ſagte nichts, ſie war abergläubiſch und wollte das Glück nicht be¬ reden und nur an einem leiſen Zittern ihres Arms gewahrte Botho, wie das Wort „ich glaube, Du biſt glücklich, Lene“ ihr das innerſte Herz getroffen hatte. Der Wirth kam und erkundigte ſich artig, wenn auch mit einem Anfluge von Verlegenheit, nach ihrer Nachtruhe. „Vorzüglich,“ ſagte Botho, „Der Meliſſenthee, den Ihre liebe Frau verordnet, hat wahre Wunder gethan und die Mondſichel, die uns gerade ins Fenſter ſchien, und die Nachtigallen, die leiſe ſchlugen, ſo leiſe, daß man ſie nur eben noch hören konnte, ja wer wollte da nicht ſchlafen wie im Paradieſe? Hoffentlich wird ſich kein Spreedampfer mit 240 Gäſten für heute Nachmittag angemeldet haben. Das wäre dann freilich die Vertreibung aus dem Paradieſe. Sie lächeln und denken „wer weiß“ und vielleicht

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/136>, abgerufen am 21.11.2024.