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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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In diesem Tone sprach er weiter und gefiel sich
darin, sich bittre Dinge zu sagen. Endlich aber zog
er die Klingel und beorderte sein Pferd, weil er
ausreiten wolle. Und nicht lange, so hielt seine
prächtige Fuchsstute draußen, ein Geschenk des
Onkels, zugleich der Neid der Kameraden. Er hob
sich in den Sattel, gab dem Burschen einige Weisungen
und ritt auf die Moabiter Brücke zu, nach deren
Passirung er in einen breiten, über Fenn und Feld
in die Jungfernhaide hinüberführenden Weg einlenkte.
Hier ließ er sein Pferd aus dem Trab in den
Schritt fallen und nahm sich, während er bis dahin
allerhand unklaren Gedanken nachgehangen hatte,
mit jedem Augenblicke fester und schärfer ins Ver¬
hör. "Was ist es denn, was mich hindert, den
Schritt zu thun, den alle Welt erwartet? Will ich
Lene heirathen? Nein. Hab' ich's ihr versprochen?
Nein. Erwartet sie's? Nein. Oder wird uns die
Trennung leichter, wenn ich sie hinausschiebe? Nein.
Immer nein und wieder nein. Und doch säume und
schwanke ich, das Eine zu thun, was durchaus ge¬
than werden muß. Und weshalb säume ich? Woher
diese Schwankungen und Vertagungen? Thörichte
Frage. Weil ich sie liebe."

Kanonenschüsse, die vom Tegler Schießplatz her¬
überklangen, unterbrachen hier sein Selbstgespräch
und erst als er das momentan unruhig gewordene

In dieſem Tone ſprach er weiter und gefiel ſich
darin, ſich bittre Dinge zu ſagen. Endlich aber zog
er die Klingel und beorderte ſein Pferd, weil er
ausreiten wolle. Und nicht lange, ſo hielt ſeine
prächtige Fuchsſtute draußen, ein Geſchenk des
Onkels, zugleich der Neid der Kameraden. Er hob
ſich in den Sattel, gab dem Burſchen einige Weiſungen
und ritt auf die Moabiter Brücke zu, nach deren
Paſſirung er in einen breiten, über Fenn und Feld
in die Jungfernhaide hinüberführenden Weg einlenkte.
Hier ließ er ſein Pferd aus dem Trab in den
Schritt fallen und nahm ſich, während er bis dahin
allerhand unklaren Gedanken nachgehangen hatte,
mit jedem Augenblicke feſter und ſchärfer ins Ver¬
hör. „Was iſt es denn, was mich hindert, den
Schritt zu thun, den alle Welt erwartet? Will ich
Lene heirathen? Nein. Hab' ich's ihr verſprochen?
Nein. Erwartet ſie's? Nein. Oder wird uns die
Trennung leichter, wenn ich ſie hinausſchiebe? Nein.
Immer nein und wieder nein. Und doch ſäume und
ſchwanke ich, das Eine zu thun, was durchaus ge¬
than werden muß. Und weshalb ſäume ich? Woher
dieſe Schwankungen und Vertagungen? Thörichte
Frage. Weil ich ſie liebe.“

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[153/0163] In dieſem Tone ſprach er weiter und gefiel ſich darin, ſich bittre Dinge zu ſagen. Endlich aber zog er die Klingel und beorderte ſein Pferd, weil er ausreiten wolle. Und nicht lange, ſo hielt ſeine prächtige Fuchsſtute draußen, ein Geſchenk des Onkels, zugleich der Neid der Kameraden. Er hob ſich in den Sattel, gab dem Burſchen einige Weiſungen und ritt auf die Moabiter Brücke zu, nach deren Paſſirung er in einen breiten, über Fenn und Feld in die Jungfernhaide hinüberführenden Weg einlenkte. Hier ließ er ſein Pferd aus dem Trab in den Schritt fallen und nahm ſich, während er bis dahin allerhand unklaren Gedanken nachgehangen hatte, mit jedem Augenblicke feſter und ſchärfer ins Ver¬ hör. „Was iſt es denn, was mich hindert, den Schritt zu thun, den alle Welt erwartet? Will ich Lene heirathen? Nein. Hab' ich's ihr verſprochen? Nein. Erwartet ſie's? Nein. Oder wird uns die Trennung leichter, wenn ich ſie hinausſchiebe? Nein. Immer nein und wieder nein. Und doch ſäume und ſchwanke ich, das Eine zu thun, was durchaus ge¬ than werden muß. Und weshalb ſäume ich? Woher dieſe Schwankungen und Vertagungen? Thörichte Frage. Weil ich ſie liebe.“ Kanonenſchüſſe, die vom Tegler Schießplatz her¬ überklangen, unterbrachen hier ſein Selbſtgeſpräch und erſt als er das momentan unruhig gewordene

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/163>, abgerufen am 24.11.2024.