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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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Schatten lag. Die Kühle that ihm wohl und er
trat an einen eleganten, noch aus seiner Jung¬
gesellenzeit herstammenden Schreibtisch heran, dessen
Ebenholzkästchen mit allerlei kleinen Silberguirlanden
ausgelegt waren. In der Mitte dieser Kästchen
aber baute sich ein mit einem Giebelfeld aus¬
gestattetes und zur Aufbewahrung von Werthsachen
dienendes Säulentempelchen auf, dessen nach hintenzu
gelegenes Geheimfach durch eine Feder geschlossen
wurde. Botho drückte jetzt auf die Feder und nahm,
als das Fach aufsprang, ein kleines Briefbündel
heraus, das mit einem rothen Faden umwunden
war, obenauf aber, und wie nachträglich eingeschoben,
lagen die Blumen, von denen er eben gesprochen.
Er wog das Päckchen in Händen und sagte, während
er den Faden ablöste: "Viel Freud, viel Leid.
Irrungen, Wirrungen. Das alte Lied."

Er war allein und an Ueberraschung nicht zu
denken. In seiner Vorstellung aber immer noch
nicht sicher genug, stand er auf und schloß die Thür.
Und nun erst nahm er den obenauf liegenden Brief
und las. Es waren die den Tag vor dem Wilmers¬
dorfer Spaziergange geschriebenen Zeilen, und mit
Rührung sah er jetzt im Wiederlesen auf alles das,
was er damals mit einem Bleistiftstrichelchen be¬
zeichnet hatte. "Stiehl... Alleh ... Wie diese
liebenswürdigen "h's" mich auch heute wieder an¬

Schatten lag. Die Kühle that ihm wohl und er
trat an einen eleganten, noch aus ſeiner Jung¬
geſellenzeit herſtammenden Schreibtiſch heran, deſſen
Ebenholzkäſtchen mit allerlei kleinen Silberguirlanden
ausgelegt waren. In der Mitte dieſer Käſtchen
aber baute ſich ein mit einem Giebelfeld aus¬
geſtattetes und zur Aufbewahrung von Werthſachen
dienendes Säulentempelchen auf, deſſen nach hintenzu
gelegenes Geheimfach durch eine Feder geſchloſſen
wurde. Botho drückte jetzt auf die Feder und nahm,
als das Fach aufſprang, ein kleines Briefbündel
heraus, das mit einem rothen Faden umwunden
war, obenauf aber, und wie nachträglich eingeſchoben,
lagen die Blumen, von denen er eben geſprochen.
Er wog das Päckchen in Händen und ſagte, während
er den Faden ablöſte: „Viel Freud, viel Leid.
Irrungen, Wirrungen. Das alte Lied.“

Er war allein und an Ueberraſchung nicht zu
denken. In ſeiner Vorſtellung aber immer noch
nicht ſicher genug, ſtand er auf und ſchloß die Thür.
Und nun erſt nahm er den obenauf liegenden Brief
und las. Es waren die den Tag vor dem Wilmers¬
dorfer Spaziergange geſchriebenen Zeilen, und mit
Rührung ſah er jetzt im Wiederleſen auf alles das,
was er damals mit einem Bleiſtiftſtrichelchen be¬
zeichnet hatte. „Stiehl... Alléh ... Wie dieſe
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[247/0257] Schatten lag. Die Kühle that ihm wohl und er trat an einen eleganten, noch aus ſeiner Jung¬ geſellenzeit herſtammenden Schreibtiſch heran, deſſen Ebenholzkäſtchen mit allerlei kleinen Silberguirlanden ausgelegt waren. In der Mitte dieſer Käſtchen aber baute ſich ein mit einem Giebelfeld aus¬ geſtattetes und zur Aufbewahrung von Werthſachen dienendes Säulentempelchen auf, deſſen nach hintenzu gelegenes Geheimfach durch eine Feder geſchloſſen wurde. Botho drückte jetzt auf die Feder und nahm, als das Fach aufſprang, ein kleines Briefbündel heraus, das mit einem rothen Faden umwunden war, obenauf aber, und wie nachträglich eingeſchoben, lagen die Blumen, von denen er eben geſprochen. Er wog das Päckchen in Händen und ſagte, während er den Faden ablöſte: „Viel Freud, viel Leid. Irrungen, Wirrungen. Das alte Lied.“ Er war allein und an Ueberraſchung nicht zu denken. In ſeiner Vorſtellung aber immer noch nicht ſicher genug, ſtand er auf und ſchloß die Thür. Und nun erſt nahm er den obenauf liegenden Brief und las. Es waren die den Tag vor dem Wilmers¬ dorfer Spaziergange geſchriebenen Zeilen, und mit Rührung ſah er jetzt im Wiederleſen auf alles das, was er damals mit einem Bleiſtiftſtrichelchen be¬ zeichnet hatte. „Stiehl... Alléh ... Wie dieſe liebenswürdigen „h's“ mich auch heute wieder an¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/257>, abgerufen am 24.11.2024.