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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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andre. Spielen Sie den Treuen und Ausharrenden
oder was dasselbe sagen will, brechen Sie von Grund
aus mit Stand und Herkommen und Sitte, so
werden Sie, wenn Sie nicht versumpfen, über kurz
oder lang sich selbst ein Gräuel und eine Last sein,
verläuft es aber anders und schließen Sie, wie's
die Regel ist, nach Jahr und Tag Ihren Frieden
mit Gesellschaft und Familie, dann ist der Jammer
da, dann muß gelöst werden, was durch glückliche
Stunden und ach, was mehr bedeutet, durch un¬
glückliche, durch Noth und Aengste verwebt und ver¬
wachsen ist. Und das thut weh."

Rexin schien antworten zu wollen, aber Botho
sah es nicht und fuhr fort: "Lieber Rexin, Sie
haben vorhin in einem wahren Musterstücke dezenter
Ausdrucksweise von Verhältnissen gesprochen, "wo
knüpfen und lösen in dieselbe Stunde fällt", aber
diese Verhältnisse, die keine sind, sind nicht die
schlimmsten, die schlimmsten sind die, die, um Sie
noch 'mal zu zitiren, den "Mittelkurs" halten. Ich
warne Sie, hüten Sie sich vor diesem Mittelkurs,
hüten Sie sich vor dem Halben. Was Ihnen Ge¬
winn dünkt, ist Bankrutt und was Ihnen Hafen
scheint, ist Scheiterung. Es führt nie zum Guten,
auch wenn äußerlich alles glatt abläuft und keine
Verwünschung ausgesprochen und kaum ein stiller
Vorwurf erhoben wird. Und es kann auch nicht

andre. Spielen Sie den Treuen und Ausharrenden
oder was daſſelbe ſagen will, brechen Sie von Grund
aus mit Stand und Herkommen und Sitte, ſo
werden Sie, wenn Sie nicht verſumpfen, über kurz
oder lang ſich ſelbſt ein Gräuel und eine Laſt ſein,
verläuft es aber anders und ſchließen Sie, wie's
die Regel iſt, nach Jahr und Tag Ihren Frieden
mit Geſellſchaft und Familie, dann iſt der Jammer
da, dann muß gelöſt werden, was durch glückliche
Stunden und ach, was mehr bedeutet, durch un¬
glückliche, durch Noth und Aengſte verwebt und ver¬
wachſen iſt. Und das thut weh.“

Rexin ſchien antworten zu wollen, aber Botho
ſah es nicht und fuhr fort: „Lieber Rexin, Sie
haben vorhin in einem wahren Muſterſtücke dezenter
Ausdrucksweiſe von Verhältniſſen geſprochen, „wo
knüpfen und löſen in dieſelbe Stunde fällt“, aber
dieſe Verhältniſſe, die keine ſind, ſind nicht die
ſchlimmſten, die ſchlimmſten ſind die, die, um Sie
noch 'mal zu zitiren, den „Mittelkurs“ halten. Ich
warne Sie, hüten Sie ſich vor dieſem Mittelkurs,
hüten Sie ſich vor dem Halben. Was Ihnen Ge¬
winn dünkt, iſt Bankrutt und was Ihnen Hafen
ſcheint, iſt Scheiterung. Es führt nie zum Guten,
auch wenn äußerlich alles glatt abläuft und keine
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[261/0271] andre. Spielen Sie den Treuen und Ausharrenden oder was daſſelbe ſagen will, brechen Sie von Grund aus mit Stand und Herkommen und Sitte, ſo werden Sie, wenn Sie nicht verſumpfen, über kurz oder lang ſich ſelbſt ein Gräuel und eine Laſt ſein, verläuft es aber anders und ſchließen Sie, wie's die Regel iſt, nach Jahr und Tag Ihren Frieden mit Geſellſchaft und Familie, dann iſt der Jammer da, dann muß gelöſt werden, was durch glückliche Stunden und ach, was mehr bedeutet, durch un¬ glückliche, durch Noth und Aengſte verwebt und ver¬ wachſen iſt. Und das thut weh.“ Rexin ſchien antworten zu wollen, aber Botho ſah es nicht und fuhr fort: „Lieber Rexin, Sie haben vorhin in einem wahren Muſterſtücke dezenter Ausdrucksweiſe von Verhältniſſen geſprochen, „wo knüpfen und löſen in dieſelbe Stunde fällt“, aber dieſe Verhältniſſe, die keine ſind, ſind nicht die ſchlimmſten, die ſchlimmſten ſind die, die, um Sie noch 'mal zu zitiren, den „Mittelkurs“ halten. Ich warne Sie, hüten Sie ſich vor dieſem Mittelkurs, hüten Sie ſich vor dem Halben. Was Ihnen Ge¬ winn dünkt, iſt Bankrutt und was Ihnen Hafen ſcheint, iſt Scheiterung. Es führt nie zum Guten, auch wenn äußerlich alles glatt abläuft und keine Verwünſchung ausgeſprochen und kaum ein ſtiller Vorwurf erhoben wird. Und es kann auch nicht

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/271>, abgerufen am 24.11.2024.