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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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daß sie mehr draußen ist; sie wird mir sonst zu
blaß."

Lene hatte derweilen einen Holzstuhl neben die
Alte gerückt, weil sie wußte, daß Baron Botho hier
am liebsten saß; Frau Dörr aber, in der eine starke
Vorstellung davon lebte, daß ein Baron auf einem
Ehrenplatz sitzen müsse, war inzwischen aufgestanden
und rief, immer das blaue Vließ nachschleppend,
ihrem Pflegesohn zu: "Will er woll auf! Ne, ich
sage. Wo's nich drin steckt, da kommt es auch nich."
Der arme Junge fuhr blöd und verschlafen in die
Höh und wollte den Platz räumen, der Baron litt
es aber nicht. "Ums Himmelswillen, liebe Frau
Dörr, lassen Sie doch den Jungen. Ich sitz' am
liebsten auf einem Schemel, wie mein Freund Dörr
hier."

Und damit schob er den Holzstuhl, den Lene
noch immer in Bereitschaft hatte, neben die Alte
und sagte, während er sich setzte: "Hier neben Frau
Nimptsch; das ist der beste Platz. Ich kenne keinen
Herd, auf den ich so gern sähe; immer Feuer, immer
Wärme. Ja, Mutterchen, es ist so; hier ist es am
besten."

"Ach, du mein Gott," sagte die Alte. "Hier am
besten! Hier bei 'ner alten Wasch- und Plättefrau."

"Freilich. Und warum nicht? Jeder Stand
hat seine Ehre. Waschfrau auch. Wissen Sie denn,

daß ſie mehr draußen iſt; ſie wird mir ſonſt zu
blaß.“

Lene hatte derweilen einen Holzſtuhl neben die
Alte gerückt, weil ſie wußte, daß Baron Botho hier
am liebſten ſaß; Frau Dörr aber, in der eine ſtarke
Vorſtellung davon lebte, daß ein Baron auf einem
Ehrenplatz ſitzen müſſe, war inzwiſchen aufgeſtanden
und rief, immer das blaue Vließ nachſchleppend,
ihrem Pflegeſohn zu: „Will er woll auf! Ne, ich
ſage. Wo's nich drin ſteckt, da kommt es auch nich.“
Der arme Junge fuhr blöd und verſchlafen in die
Höh und wollte den Platz räumen, der Baron litt
es aber nicht. „Ums Himmelswillen, liebe Frau
Dörr, laſſen Sie doch den Jungen. Ich ſitz' am
liebſten auf einem Schemel, wie mein Freund Dörr
hier.“

Und damit ſchob er den Holzſtuhl, den Lene
noch immer in Bereitſchaft hatte, neben die Alte
und ſagte, während er ſich ſetzte: „Hier neben Frau
Nimptſch; das iſt der beſte Platz. Ich kenne keinen
Herd, auf den ich ſo gern ſähe; immer Feuer, immer
Wärme. Ja, Mutterchen, es iſt ſo; hier iſt es am
beſten.“

„Ach, du mein Gott,“ ſagte die Alte. „Hier am
beſten! Hier bei 'ner alten Waſch- und Plättefrau.“

„Freilich. Und warum nicht? Jeder Stand
hat ſeine Ehre. Waſchfrau auch. Wiſſen Sie denn,

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[30/0040] daß ſie mehr draußen iſt; ſie wird mir ſonſt zu blaß.“ Lene hatte derweilen einen Holzſtuhl neben die Alte gerückt, weil ſie wußte, daß Baron Botho hier am liebſten ſaß; Frau Dörr aber, in der eine ſtarke Vorſtellung davon lebte, daß ein Baron auf einem Ehrenplatz ſitzen müſſe, war inzwiſchen aufgeſtanden und rief, immer das blaue Vließ nachſchleppend, ihrem Pflegeſohn zu: „Will er woll auf! Ne, ich ſage. Wo's nich drin ſteckt, da kommt es auch nich.“ Der arme Junge fuhr blöd und verſchlafen in die Höh und wollte den Platz räumen, der Baron litt es aber nicht. „Ums Himmelswillen, liebe Frau Dörr, laſſen Sie doch den Jungen. Ich ſitz' am liebſten auf einem Schemel, wie mein Freund Dörr hier.“ Und damit ſchob er den Holzſtuhl, den Lene noch immer in Bereitſchaft hatte, neben die Alte und ſagte, während er ſich ſetzte: „Hier neben Frau Nimptſch; das iſt der beſte Platz. Ich kenne keinen Herd, auf den ich ſo gern ſähe; immer Feuer, immer Wärme. Ja, Mutterchen, es iſt ſo; hier iſt es am beſten.“ „Ach, du mein Gott,“ ſagte die Alte. „Hier am beſten! Hier bei 'ner alten Waſch- und Plättefrau.“ „Freilich. Und warum nicht? Jeder Stand hat ſeine Ehre. Waſchfrau auch. Wiſſen Sie denn,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/40>, abgerufen am 21.11.2024.