Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

für uns Kinder, ganz besonders für mich. Unsere Erziehung seitens der Eltern ging sprungweise vor, war da und dann wieder nicht da, von Continuität keine Rede. Für diese Continuität sorgte aber die Schröder. Sie hatte keine Lieblinge, ließ sich kein x für ein u machen und verstand es, jeden an der rechten Stelle zu fassen. Was mich anging, so wußte sie, daß ich gut geartet aber empfindlich, eitel und von einer gewissen Großmannssucht beherrscht war. Das Alles wollte sie niederhalten und so hörte ich denn zahllose Male: "Ja, Du denkst Wunder, wer Du bist, aber Du bist ein kindischer Junge, gerade so wie die anderen und mitunter noch ein bischen schlimmer. Willst immer den jungen Herrn spielen, aber junge Herren lecken keinen Honig vom Teller und streiten es wenigstens nicht ab, wenn sie's gethan haben und lügen überhaupt nicht. Neulich hast Du was von Ehre geschnackt, nun, ich sage Dir, Ehre sieht anders aus." Sie hielt auf Wahrheit, behandelte Großsprechereien mit feinem Spott und war sparsam in ihrem Lob. Aber wenn sie lobte, das wirkte. Sie hat mir viel gute Dienste geleistet und erst spät im Leben, als ich schon über 50 war, bin ich noch einmal einer alten Dame begegnet, die gleich erziehlich auf mich eingewirkt hat. Denn man hört nie auf erziehungsbedürftig zu sein; ich

für uns Kinder, ganz besonders für mich. Unsere Erziehung seitens der Eltern ging sprungweise vor, war da und dann wieder nicht da, von Continuität keine Rede. Für diese Continuität sorgte aber die Schröder. Sie hatte keine Lieblinge, ließ sich kein x für ein u machen und verstand es, jeden an der rechten Stelle zu fassen. Was mich anging, so wußte sie, daß ich gut geartet aber empfindlich, eitel und von einer gewissen Großmannssucht beherrscht war. Das Alles wollte sie niederhalten und so hörte ich denn zahllose Male: „Ja, Du denkst Wunder, wer Du bist, aber Du bist ein kindischer Junge, gerade so wie die anderen und mitunter noch ein bischen schlimmer. Willst immer den jungen Herrn spielen, aber junge Herren lecken keinen Honig vom Teller und streiten es wenigstens nicht ab, wenn sie’s gethan haben und lügen überhaupt nicht. Neulich hast Du was von Ehre geschnackt, nun, ich sage Dir, Ehre sieht anders aus.“ Sie hielt auf Wahrheit, behandelte Großsprechereien mit feinem Spott und war sparsam in ihrem Lob. Aber wenn sie lobte, das wirkte. Sie hat mir viel gute Dienste geleistet und erst spät im Leben, als ich schon über 50 war, bin ich noch einmal einer alten Dame begegnet, die gleich erziehlich auf mich eingewirkt hat. Denn man hört nie auf erziehungsbedürftig zu sein; ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="136"/>
für uns Kinder, ganz besonders für mich. Unsere Erziehung seitens der Eltern ging sprungweise vor, war da und dann wieder nicht da, von Continuität keine Rede. Für diese Continuität sorgte aber die Schröder. Sie hatte keine Lieblinge, ließ sich kein x für ein u machen und verstand es, jeden an der rechten Stelle zu fassen. Was mich anging, so wußte sie, daß ich gut geartet aber empfindlich, eitel und von einer gewissen Großmannssucht beherrscht war. Das Alles wollte sie niederhalten und so hörte ich denn zahllose Male: &#x201E;Ja, Du denkst Wunder, wer Du bist, aber Du bist ein kindischer Junge, gerade so wie die anderen und mitunter noch ein bischen schlimmer. Willst immer den jungen Herrn spielen, aber junge Herren lecken keinen Honig vom Teller und streiten es wenigstens nicht ab, wenn sie&#x2019;s gethan haben und lügen überhaupt nicht. Neulich hast Du was von Ehre geschnackt, nun, ich sage Dir, Ehre sieht anders aus.&#x201C; Sie hielt auf Wahrheit, behandelte Großsprechereien mit feinem Spott und war sparsam in ihrem Lob. Aber wenn sie lobte, das wirkte. Sie hat mir viel gute Dienste geleistet und erst spät im Leben, als ich schon über 50 war, bin ich noch einmal einer alten Dame begegnet, die gleich erziehlich auf mich eingewirkt hat. Denn man hört nie auf erziehungsbedürftig zu sein; ich
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0144] für uns Kinder, ganz besonders für mich. Unsere Erziehung seitens der Eltern ging sprungweise vor, war da und dann wieder nicht da, von Continuität keine Rede. Für diese Continuität sorgte aber die Schröder. Sie hatte keine Lieblinge, ließ sich kein x für ein u machen und verstand es, jeden an der rechten Stelle zu fassen. Was mich anging, so wußte sie, daß ich gut geartet aber empfindlich, eitel und von einer gewissen Großmannssucht beherrscht war. Das Alles wollte sie niederhalten und so hörte ich denn zahllose Male: „Ja, Du denkst Wunder, wer Du bist, aber Du bist ein kindischer Junge, gerade so wie die anderen und mitunter noch ein bischen schlimmer. Willst immer den jungen Herrn spielen, aber junge Herren lecken keinen Honig vom Teller und streiten es wenigstens nicht ab, wenn sie’s gethan haben und lügen überhaupt nicht. Neulich hast Du was von Ehre geschnackt, nun, ich sage Dir, Ehre sieht anders aus.“ Sie hielt auf Wahrheit, behandelte Großsprechereien mit feinem Spott und war sparsam in ihrem Lob. Aber wenn sie lobte, das wirkte. Sie hat mir viel gute Dienste geleistet und erst spät im Leben, als ich schon über 50 war, bin ich noch einmal einer alten Dame begegnet, die gleich erziehlich auf mich eingewirkt hat. Denn man hört nie auf erziehungsbedürftig zu sein; ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-21T13:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Digitale Drucke der Uni Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-21T13:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-21T13:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Das Wort wird noch auf der gleichen Seite vervollständigt.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/144
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/144>, abgerufen am 21.11.2024.