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Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.

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gleich, was natürlich für meine Bescheidenheit nicht sehr förderlich war. Doch stand es wohl nicht allzu schlimm damit; in all meiner Eitelkeit war ich doch immer zunächst bei der Sache.



Herbst 31 sah sich die Revolution besiegt, aber ein neuer schlimmerer Feind war inzwischen heraufgestiegen und näherte sich von Osten her unsern Grenzen: die Cholera. Vorbereitungen zur Abwehr derselben wurden getroffen, natürlich (wie immer) auch bewitzelt und als der alte Geheimerath Rust Absperrungsmaßregeln vorschlug, erschien eine Berliner Karrikatur, die den alten Rust, bei vollkommenster Porträt-Ähnlichkeit, als Sperling (aber mit einem doppelten r geschrieben) darstellte. Darunter stand: "Passer Rusticus, der gemeine Landsperrling". Indessen, es half zu nichts; es

ich nicht verkenne, daß dabei schließlich ein Dorfspitz herauskommen kann, der wohlgekleidete Lumpe passiren läßt und ehrliche Leute, die gerad um ihrer Tugenden willen in Lumpen gehn, anbellt. Bedarf das der Abstellung, muß das aus unserer Seele heraus, so müssen wir nach ganz anderen, von der Erscheinung absehenden Principien erzogen werden und es lernen, unter allen Umständen immer nur das Eigentliche, den Kern der Sache zu befragen. Davon sind wir aber vorläufig noch weit ab.

gleich, was natürlich für meine Bescheidenheit nicht sehr förderlich war. Doch stand es wohl nicht allzu schlimm damit; in all meiner Eitelkeit war ich doch immer zunächst bei der Sache.



Herbst 31 sah sich die Revolution besiegt, aber ein neuer schlimmerer Feind war inzwischen heraufgestiegen und näherte sich von Osten her unsern Grenzen: die Cholera. Vorbereitungen zur Abwehr derselben wurden getroffen, natürlich (wie immer) auch bewitzelt und als der alte Geheimerath Rust Absperrungsmaßregeln vorschlug, erschien eine Berliner Karrikatur, die den alten Rust, bei vollkommenster Porträt-Ähnlichkeit, als Sperling (aber mit einem doppelten r geschrieben) darstellte. Darunter stand: „Passer Rusticus, der gemeine Landsperrling“. Indessen, es half zu nichts; es

ich nicht verkenne, daß dabei schließlich ein Dorfspitz herauskommen kann, der wohlgekleidete Lumpe passiren läßt und ehrliche Leute, die gerad um ihrer Tugenden willen in Lumpen gehn, anbellt. Bedarf das der Abstellung, muß das aus unserer Seele heraus, so müssen wir nach ganz anderen, von der Erscheinung absehenden Principien erzogen werden und es lernen, unter allen Umständen immer nur das Eigentliche, den Kern der Sache zu befragen. Davon sind wir aber vorläufig noch weit ab.
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[198/0206] gleich, was natürlich für meine Bescheidenheit nicht sehr förderlich war. Doch stand es wohl nicht allzu schlimm damit; in all meiner Eitelkeit war ich doch immer zunächst bei der Sache. Herbst 31 sah sich die Revolution besiegt, aber ein neuer schlimmerer Feind war inzwischen heraufgestiegen und näherte sich von Osten her unsern Grenzen: die Cholera. Vorbereitungen zur Abwehr derselben wurden getroffen, natürlich (wie immer) auch bewitzelt und als der alte Geheimerath Rust Absperrungsmaßregeln vorschlug, erschien eine Berliner Karrikatur, die den alten Rust, bei vollkommenster Porträt-Ähnlichkeit, als Sperling (aber mit einem doppelten r geschrieben) darstellte. Darunter stand: „Passer Rusticus, der gemeine Landsperrling“. Indessen, es half zu nichts; es *) *) ich nicht verkenne, daß dabei schließlich ein Dorfspitz herauskommen kann, der wohlgekleidete Lumpe passiren läßt und ehrliche Leute, die gerad um ihrer Tugenden willen in Lumpen gehn, anbellt. Bedarf das der Abstellung, muß das aus unserer Seele heraus, so müssen wir nach ganz anderen, von der Erscheinung absehenden Principien erzogen werden und es lernen, unter allen Umständen immer nur das Eigentliche, den Kern der Sache zu befragen. Davon sind wir aber vorläufig noch weit ab.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/206>, abgerufen am 21.11.2024.