Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.was sie nicht that, und beklage jetzt jeden gegen sie gehegten Zweifel. Sie war dem ganzen Rest der Familie, der damaligen wie der jetzigen, weit überlegen, nicht an sogenannten Gaben, aber an Charakter, auf den doch immer Alles ankommt. Ihre ganz südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts Andres, als eine beneidenswerthe Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebensführung tief empören zu können und ich muß es als ein großes Unglück ansehen, daß diese mir jetzt klar zu Tage liegenden Vorzüge von uns allen zwar immer gewürdigt, aber in ihrem vollen Werth und Recht nie ganz erkannt wurden. Ich werde in Weiterem Vieles zu berichten haben, das diese Worte bestätigt. Das schon erwähnte Pensionat, in das meine Mutter, achtzehn Jahre alt, eintrat, war das der Madam Lionnet und unter den verschiedenen Freundinnen, die sie hier fand, stand Louise Rogee obenan, damals schon eine sehr beliebte, fast gefeierte Schauspielerin, aber wie's scheint, in der Pension verblieben. Eines Tages hieß es, Louise Rogee habe sich verlobt und zwar mit einem jungen Architekten, dem ältesten Sohne des Kabinetssekretairs Pierre Barthelemy Fontane. Die Nachricht bestätigte was sie nicht that, und beklage jetzt jeden gegen sie gehegten Zweifel. Sie war dem ganzen Rest der Familie, der damaligen wie der jetzigen, weit überlegen, nicht an sogenannten Gaben, aber an Charakter, auf den doch immer Alles ankommt. Ihre ganz südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts Andres, als eine beneidenswerthe Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebensführung tief empören zu können und ich muß es als ein großes Unglück ansehen, daß diese mir jetzt klar zu Tage liegenden Vorzüge von uns allen zwar immer gewürdigt, aber in ihrem vollen Werth und Recht nie ganz erkannt wurden. Ich werde in Weiterem Vieles zu berichten haben, das diese Worte bestätigt. Das schon erwähnte Pensionat, in das meine Mutter, achtzehn Jahre alt, eintrat, war das der Madam Lionnet und unter den verschiedenen Freundinnen, die sie hier fand, stand Louise Rogée obenan, damals schon eine sehr beliebte, fast gefeierte Schauspielerin, aber wie’s scheint, in der Pension verblieben. Eines Tages hieß es, Louise Rogée habe sich verlobt und zwar mit einem jungen Architekten, dem ältesten Sohne des Kabinetssekretairs Pierre Barthélemy Fontane. Die Nachricht bestätigte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="14"/> was sie nicht that, und beklage jetzt jeden gegen sie gehegten Zweifel. Sie war dem ganzen Rest der Familie, der damaligen wie der jetzigen, weit überlegen, nicht an sogenannten Gaben, aber an Charakter, auf den doch immer Alles ankommt. Ihre ganz südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts Andres, als eine beneidenswerthe Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebensführung tief empören zu können und ich muß es als ein großes Unglück ansehen, daß diese mir jetzt klar zu Tage liegenden Vorzüge von uns allen zwar immer gewürdigt, aber in ihrem vollen Werth und Recht nie ganz erkannt wurden. Ich werde in Weiterem Vieles zu berichten haben, das diese Worte bestätigt.</p> <p>Das schon erwähnte Pensionat, in das meine Mutter, achtzehn Jahre alt, eintrat, war das der Madam Lionnet und unter den verschiedenen Freundinnen, die sie hier fand, stand Louise Rogée obenan, damals schon eine sehr beliebte, fast gefeierte Schauspielerin, aber wie’s scheint, in der Pension verblieben. Eines Tages hieß es, Louise Rogée habe sich verlobt und zwar mit einem jungen Architekten, dem ältesten Sohne des Kabinetssekretairs Pierre Barthélemy Fontane. Die Nachricht bestätigte </p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0022]
was sie nicht that, und beklage jetzt jeden gegen sie gehegten Zweifel. Sie war dem ganzen Rest der Familie, der damaligen wie der jetzigen, weit überlegen, nicht an sogenannten Gaben, aber an Charakter, auf den doch immer Alles ankommt. Ihre ganz südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts Andres, als eine beneidenswerthe Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebensführung tief empören zu können und ich muß es als ein großes Unglück ansehen, daß diese mir jetzt klar zu Tage liegenden Vorzüge von uns allen zwar immer gewürdigt, aber in ihrem vollen Werth und Recht nie ganz erkannt wurden. Ich werde in Weiterem Vieles zu berichten haben, das diese Worte bestätigt.
Das schon erwähnte Pensionat, in das meine Mutter, achtzehn Jahre alt, eintrat, war das der Madam Lionnet und unter den verschiedenen Freundinnen, die sie hier fand, stand Louise Rogée obenan, damals schon eine sehr beliebte, fast gefeierte Schauspielerin, aber wie’s scheint, in der Pension verblieben. Eines Tages hieß es, Louise Rogée habe sich verlobt und zwar mit einem jungen Architekten, dem ältesten Sohne des Kabinetssekretairs Pierre Barthélemy Fontane. Die Nachricht bestätigte
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