Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Kapitel.

Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der
mecklenburgischen Grenze, zieht sich von dem Städtchen
Gransee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber
hinaus) eine mehrere Meilen lange Seeenkette durch
eine menschenarme, nur hie und da mit ein paar alten
Dörfern, sonst aber ausschließlich mit Förstereien, Glas-
und Teeröfen besetzte Waldung. Einer der Seeen, die
diese Seeenkette bilden, heißt "der Stechlin".
Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und
quaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von
alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen
Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze
berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf
und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen,
kein Vogel singt, und nur selten, daß ein Habicht
drüber hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegel¬
fläche wirft. Alles still hier. Und doch, von Zeit zu
Zeit wird es an eben dieser Stelle lebendig. Das ist,
wenn es weit draußen in der Welt, sei's auf Island,
sei's auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder
gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis weit
auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich's
auch hier, und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt
wieder in die Tiefe. Das wissen alle, die den Stechlin
umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so setzen sie

1*
Erſtes Kapitel.

Im Norden der Grafſchaft Ruppin, hart an der
mecklenburgiſchen Grenze, zieht ſich von dem Städtchen
Granſee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber
hinaus) eine mehrere Meilen lange Seeenkette durch
eine menſchenarme, nur hie und da mit ein paar alten
Dörfern, ſonſt aber ausſchließlich mit Förſtereien, Glas-
und Teeröfen beſetzte Waldung. Einer der Seeen, die
dieſe Seeenkette bilden, heißt „der Stechlin“.
Zwiſchen flachen, nur an einer einzigen Stelle ſteil und
quaiartig anſteigenden Ufern liegt er da, rundum von
alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen
Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze
berühren. Hie und da wächſt ein weniges von Schilf
und Binſen auf, aber kein Kahn zieht ſeine Furchen,
kein Vogel ſingt, und nur ſelten, daß ein Habicht
drüber hinfliegt und ſeinen Schatten auf die Spiegel¬
fläche wirft. Alles ſtill hier. Und doch, von Zeit zu
Zeit wird es an eben dieſer Stelle lebendig. Das iſt,
wenn es weit draußen in der Welt, ſei's auf Island,
ſei's auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder
gar der Aſchenregen der hawaiiſchen Vulkane bis weit
auf die Südſee hinausgetrieben wird. Dann regt ſich's
auch hier, und ein Waſſerſtrahl ſpringt auf und ſinkt
wieder in die Tiefe. Das wiſſen alle, die den Stechlin
umwohnen, und wenn ſie davon ſprechen, ſo ſetzen ſie

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0010" n="[3]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Er&#x017F;tes Kapitel.</hi><lb/>
          </head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Im Norden der Graf&#x017F;chaft Ruppin, hart an der<lb/>
mecklenburgi&#x017F;chen Grenze, zieht &#x017F;ich von dem Städtchen<lb/>
Gran&#x017F;ee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber<lb/>
hinaus) eine mehrere Meilen lange Seeenkette durch<lb/>
eine men&#x017F;chenarme, nur hie und da mit ein paar alten<lb/>
Dörfern, &#x017F;on&#x017F;t aber aus&#x017F;chließlich mit För&#x017F;tereien, Glas-<lb/>
und Teeröfen be&#x017F;etzte Waldung. Einer der Seeen, die<lb/>
die&#x017F;e Seeenkette bilden, heißt &#x201E;der <hi rendition="#g">Stechlin</hi>&#x201C;.<lb/>
Zwi&#x017F;chen flachen, nur an einer einzigen Stelle &#x017F;teil und<lb/>
quaiartig an&#x017F;teigenden Ufern liegt er da, rundum von<lb/>
alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen<lb/>
Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze<lb/>
berühren. Hie und da wäch&#x017F;t ein weniges von Schilf<lb/>
und Bin&#x017F;en auf, aber kein Kahn zieht &#x017F;eine Furchen,<lb/>
kein Vogel &#x017F;ingt, und nur &#x017F;elten, daß ein Habicht<lb/>
drüber hinfliegt und &#x017F;einen Schatten auf die Spiegel¬<lb/>
fläche wirft. Alles &#x017F;till hier. Und doch, von Zeit zu<lb/>
Zeit wird es an eben die&#x017F;er Stelle lebendig. Das i&#x017F;t,<lb/>
wenn es weit draußen in der Welt, &#x017F;ei's auf Island,<lb/>
&#x017F;ei's auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder<lb/>
gar der A&#x017F;chenregen der hawaii&#x017F;chen Vulkane bis weit<lb/>
auf die Süd&#x017F;ee hinausgetrieben wird. Dann regt &#x017F;ich's<lb/>
auch <hi rendition="#g">hier</hi>, und ein Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;trahl &#x017F;pringt auf und &#x017F;inkt<lb/>
wieder in die Tiefe. Das wi&#x017F;&#x017F;en alle, die den Stechlin<lb/>
umwohnen, und wenn &#x017F;ie davon &#x017F;prechen, &#x017F;o &#x017F;etzen &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0010] Erſtes Kapitel. Im Norden der Grafſchaft Ruppin, hart an der mecklenburgiſchen Grenze, zieht ſich von dem Städtchen Granſee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber hinaus) eine mehrere Meilen lange Seeenkette durch eine menſchenarme, nur hie und da mit ein paar alten Dörfern, ſonſt aber ausſchließlich mit Förſtereien, Glas- und Teeröfen beſetzte Waldung. Einer der Seeen, die dieſe Seeenkette bilden, heißt „der Stechlin“. Zwiſchen flachen, nur an einer einzigen Stelle ſteil und quaiartig anſteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächſt ein weniges von Schilf und Binſen auf, aber kein Kahn zieht ſeine Furchen, kein Vogel ſingt, und nur ſelten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und ſeinen Schatten auf die Spiegel¬ fläche wirft. Alles ſtill hier. Und doch, von Zeit zu Zeit wird es an eben dieſer Stelle lebendig. Das iſt, wenn es weit draußen in der Welt, ſei's auf Island, ſei's auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aſchenregen der hawaiiſchen Vulkane bis weit auf die Südſee hinausgetrieben wird. Dann regt ſich's auch hier, und ein Waſſerſtrahl ſpringt auf und ſinkt wieder in die Tiefe. Das wiſſen alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn ſie davon ſprechen, ſo ſetzen ſie 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/10
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/10>, abgerufen am 24.11.2024.