wohl auch hinzu: "Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn's aber draußen was Großes giebt, wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelt's hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein."
Das ist der Stechlin, der See Stechlin.
Aber nicht nur der See führt diesen Namen, auch der Wald, der ihn umschließt. Und Stechlin heißt ebenso das langgestreckte Dorf, das sich, den Windungen des Sees folgend, um seine Südspitze herumzieht. Etwa hundert Häuser und Hütten bilden hier eine lange, schmale Gasse, die sich nur da, wo eine von Kloster Wutz her heranführende Kastanienallee die Gasse durch¬ schneidet, platzartig erweitert. An eben dieser Stelle findet sich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf Stechlin zusammen; das Pfarrhaus, die Schule, das Schulzenamt, der Krug, dieser letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem kleinen Mohren und einer Guirlande von Schwefelfäden in seinem Schaufenster. Dieser Ecke schräg gegenüber, unmittelbar hinter dem Pfarrhause, steigt der Kirchhof lehnan, auf ihm, so ziemlich in seiner Mitte, die frühmittelalterliche Feld¬ steinkirche mit einem aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Dachreiter und einem zur Seite des alten Rundbogenportals angebrachten Holzarm, dran eine Glocke hängt. Neben diesem Kirchhof samt Kirche setzt sich dann die von Kloster Wutz her heranführende Kastanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort, bis sie vor einer über einen sumpfigen Graben sich hin¬ ziehenden und von zwei riesigen Findlingsblöcken flankierten Bohlenbrücke Halt macht. Diese Brücke ist sehr primitiv. Jenseits derselben aber steigt das
wohl auch hinzu: „Das mit dem Waſſerſtrahl, das iſt nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn's aber draußen was Großes giebt, wie vor hundert Jahren in Liſſabon, dann brodelt's hier nicht bloß und ſprudelt und ſtrudelt, dann ſteigt ſtatt des Waſſerſtrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.“
Das iſt der Stechlin, der See Stechlin.
Aber nicht nur der See führt dieſen Namen, auch der Wald, der ihn umſchließt. Und Stechlin heißt ebenſo das langgeſtreckte Dorf, das ſich, den Windungen des Sees folgend, um ſeine Südſpitze herumzieht. Etwa hundert Häuſer und Hütten bilden hier eine lange, ſchmale Gaſſe, die ſich nur da, wo eine von Kloſter Wutz her heranführende Kaſtanienallee die Gaſſe durch¬ ſchneidet, platzartig erweitert. An eben dieſer Stelle findet ſich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf Stechlin zuſammen; das Pfarrhaus, die Schule, das Schulzenamt, der Krug, dieſer letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem kleinen Mohren und einer Guirlande von Schwefelfäden in ſeinem Schaufenſter. Dieſer Ecke ſchräg gegenüber, unmittelbar hinter dem Pfarrhauſe, ſteigt der Kirchhof lehnan, auf ihm, ſo ziemlich in ſeiner Mitte, die frühmittelalterliche Feld¬ ſteinkirche mit einem aus dem vorigen Jahrhundert ſtammenden Dachreiter und einem zur Seite des alten Rundbogenportals angebrachten Holzarm, dran eine Glocke hängt. Neben dieſem Kirchhof ſamt Kirche ſetzt ſich dann die von Kloſter Wutz her heranführende Kaſtanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort, bis ſie vor einer über einen ſumpfigen Graben ſich hin¬ ziehenden und von zwei rieſigen Findlingsblöcken flankierten Bohlenbrücke Halt macht. Dieſe Brücke iſt ſehr primitiv. Jenſeits derſelben aber ſteigt das
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wohl auch hinzu: „Das mit dem Waſſerſtrahl, das iſt
nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn's aber
draußen was Großes giebt, wie vor hundert Jahren in
Liſſabon, dann brodelt's hier nicht bloß und ſprudelt
und ſtrudelt, dann ſteigt ſtatt des Waſſerſtrahls ein
roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.“
Das iſt der Stechlin, der See Stechlin.
Aber nicht nur der See führt dieſen Namen, auch
der Wald, der ihn umſchließt. Und Stechlin heißt ebenſo
das langgeſtreckte Dorf, das ſich, den Windungen des
Sees folgend, um ſeine Südſpitze herumzieht. Etwa
hundert Häuſer und Hütten bilden hier eine lange,
ſchmale Gaſſe, die ſich nur da, wo eine von Kloſter
Wutz her heranführende Kaſtanienallee die Gaſſe durch¬
ſchneidet, platzartig erweitert. An eben dieſer Stelle
findet ſich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf
Stechlin zuſammen; das Pfarrhaus, die Schule, das
Schulzenamt, der Krug, dieſer letztere zugleich ein Eck-
und Kramladen mit einem kleinen Mohren und einer
Guirlande von Schwefelfäden in ſeinem Schaufenſter.
Dieſer Ecke ſchräg gegenüber, unmittelbar hinter dem
Pfarrhauſe, ſteigt der Kirchhof lehnan, auf ihm, ſo
ziemlich in ſeiner Mitte, die frühmittelalterliche Feld¬
ſteinkirche mit einem aus dem vorigen Jahrhundert
ſtammenden Dachreiter und einem zur Seite des alten
Rundbogenportals angebrachten Holzarm, dran eine
Glocke hängt. Neben dieſem Kirchhof ſamt Kirche ſetzt
ſich dann die von Kloſter Wutz her heranführende
Kaſtanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort, bis
ſie vor einer über einen ſumpfigen Graben ſich hin¬
ziehenden und von zwei rieſigen Findlingsblöcken
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ſehr primitiv. Jenſeits derſelben aber ſteigt das
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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/11>, abgerufen am 21.11.2024.
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