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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"O, viel; beinahe um zehn Jahre. Sie wird sechs¬
undsiebzig."

"Ein respektables Alter. Und ich muß sagen, wohl
konserviert."

"Ja, man kann es beinahe sagen. Das ist eben
der Vorzug solcher, die man ,schlank' nennt. Beiläufig
ein Euphemismus. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein
Recht verloren und die Zeit natürlich auch; sie kann
nichts nehmen, wo sie nichts mehr findet. Aber ich denke
-- Rex thut mir übrigens leid, weil er wieder in seine
Stiefel muß -- wir begeben uns jetzt nach unten und
machen uns möglichst liebenswürdig bei der Tante. Sie
wird uns wohl schon erwarten, um uns ihren Liebling
vorzustellen."

"Wer ist das?"

"Nun, das wechselt. Aber da es bloß vier sein
können, so kommt jeder bald wieder an die Reihe.
Während ich das letzte Mal hier war, war es ein Fräu¬
lein von Schmargendorf. Und es ist leicht möglich,
daß sie jetzt gerade wieder dran ist."

"Eine nette Dame?"

"O ja. Ein Pummel."


Und wie vorgeschlagen, nach kurzem "Sichadjustieren"
in der improvisierten Fremdenstube, kehrten alle drei
Herren in Tante Adelheids Salon zurück, der niedrig
und verblakt und etwas altmodisch war. Die Möbel,
lauter Erbschaftsstücke, wirkten in dem niedrigen Raume
beinahe grotesk, und die schwere Tischdecke, mit einer
mächtigen, ziemlich modernen Astrallampe darauf, paßte
schlecht zu dem Zeisigbauer am Fenster und noch schlechter
zu dem über einem kleinen Klavier hängenden Schlachten¬
bilde: "König Wilhelm auf der Höhe von Lipa". Trotz¬
dem hatte dies stillose Durcheinander etwas Anheimelndes.

„O, viel; beinahe um zehn Jahre. Sie wird ſechs¬
undſiebzig.“

„Ein reſpektables Alter. Und ich muß ſagen, wohl
konſerviert.“

„Ja, man kann es beinahe ſagen. Das iſt eben
der Vorzug ſolcher, die man ‚ſchlank‘ nennt. Beiläufig
ein Euphemismus. Wo nichts iſt, hat der Kaiſer ſein
Recht verloren und die Zeit natürlich auch; ſie kann
nichts nehmen, wo ſie nichts mehr findet. Aber ich denke
— Rex thut mir übrigens leid, weil er wieder in ſeine
Stiefel muß — wir begeben uns jetzt nach unten und
machen uns möglichſt liebenswürdig bei der Tante. Sie
wird uns wohl ſchon erwarten, um uns ihren Liebling
vorzuſtellen.“

„Wer iſt das?“

„Nun, das wechſelt. Aber da es bloß vier ſein
können, ſo kommt jeder bald wieder an die Reihe.
Während ich das letzte Mal hier war, war es ein Fräu¬
lein von Schmargendorf. Und es iſt leicht möglich,
daß ſie jetzt gerade wieder dran iſt.“

„Eine nette Dame?“

„O ja. Ein Pummel.“


Und wie vorgeſchlagen, nach kurzem „Sichadjuſtieren“
in der improviſierten Fremdenſtube, kehrten alle drei
Herren in Tante Adelheids Salon zurück, der niedrig
und verblakt und etwas altmodiſch war. Die Möbel,
lauter Erbſchaftsſtücke, wirkten in dem niedrigen Raume
beinahe grotesk, und die ſchwere Tiſchdecke, mit einer
mächtigen, ziemlich modernen Aſtrallampe darauf, paßte
ſchlecht zu dem Zeiſigbauer am Fenſter und noch ſchlechter
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bilde: „König Wilhelm auf der Höhe von Lipa“. Trotz¬
dem hatte dies ſtilloſe Durcheinander etwas Anheimelndes.

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[100/0107] „O, viel; beinahe um zehn Jahre. Sie wird ſechs¬ undſiebzig.“ „Ein reſpektables Alter. Und ich muß ſagen, wohl konſerviert.“ „Ja, man kann es beinahe ſagen. Das iſt eben der Vorzug ſolcher, die man ‚ſchlank‘ nennt. Beiläufig ein Euphemismus. Wo nichts iſt, hat der Kaiſer ſein Recht verloren und die Zeit natürlich auch; ſie kann nichts nehmen, wo ſie nichts mehr findet. Aber ich denke — Rex thut mir übrigens leid, weil er wieder in ſeine Stiefel muß — wir begeben uns jetzt nach unten und machen uns möglichſt liebenswürdig bei der Tante. Sie wird uns wohl ſchon erwarten, um uns ihren Liebling vorzuſtellen.“ „Wer iſt das?“ „Nun, das wechſelt. Aber da es bloß vier ſein können, ſo kommt jeder bald wieder an die Reihe. Während ich das letzte Mal hier war, war es ein Fräu¬ lein von Schmargendorf. Und es iſt leicht möglich, daß ſie jetzt gerade wieder dran iſt.“ „Eine nette Dame?“ „O ja. Ein Pummel.“ Und wie vorgeſchlagen, nach kurzem „Sichadjuſtieren“ in der improviſierten Fremdenſtube, kehrten alle drei Herren in Tante Adelheids Salon zurück, der niedrig und verblakt und etwas altmodiſch war. Die Möbel, lauter Erbſchaftsſtücke, wirkten in dem niedrigen Raume beinahe grotesk, und die ſchwere Tiſchdecke, mit einer mächtigen, ziemlich modernen Aſtrallampe darauf, paßte ſchlecht zu dem Zeiſigbauer am Fenſter und noch ſchlechter zu dem über einem kleinen Klavier hängenden Schlachten¬ bilde: „König Wilhelm auf der Höhe von Lipa“. Trotz¬ dem hatte dies ſtilloſe Durcheinander etwas Anheimelndes.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/107>, abgerufen am 24.11.2024.