freilich nicht zukommenden Blüte stand. Und das hing so zusammen. Aus dem sumpfigen Schloßgraben hatte der Wind vor langer Zeit ein fremdes Samenkorn in den Kübel der kranken Aloe geweht, und alljährlich schossen infolge davon aus der Mitte der schon ange¬ gelbten Aloeblätter die weiß und roten Dolden des Wasserliesch oder des Butomus umbellatus auf. Jeder Fremde der kam, wenn er nicht zufällig ein Kenner war, nahm diese Dolden für richtige Aloeblüten, und der Schloßherr hütete sich wohl, diesen Glauben, der eine Quelle der Erheiterung für ihn war, zu zerstören.
Und wie denn alles hier herum den Namen Stechlin führte, so natürlich auch der Schloßherr selbst. Auch er war ein Stechlin.
Dubslav von Stechlin, Major a. D. und schon ein gut Stück über Sechzig hinaus, war der Typus eines Märkischen von Adel, aber von der milderen Observanz, eines jener erquicklichen Originale, bei denen sich selbst die Schwächen in Vorzüge verwandeln. Er hatte noch ganz das eigentümlich sympathisch berührende Selbstgefühl all derer, die "schon vor den Hohenzollern da waren", aber er hegte dieses Selbstgefühl nur ganz im stillen, und wenn es dennoch zum Ausdruck kam, so kleidete sich's in Humor, auch wohl in Selbstironie, weil er seinem ganzen Wesen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte. Sein schönster Zug war eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel und Überheblichkeit (während er sonst eine Neigung hatte, fünf gerade sein zu lassen) waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto besser. Daß sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu wünschen. Beinah das Gegenteil. Paradoxen waren seine Passion. "Ich bin nicht klug genug, selber welche zu machen, aber ich
freilich nicht zukommenden Blüte ſtand. Und das hing ſo zuſammen. Aus dem ſumpfigen Schloßgraben hatte der Wind vor langer Zeit ein fremdes Samenkorn in den Kübel der kranken Aloe geweht, und alljährlich ſchoſſen infolge davon aus der Mitte der ſchon ange¬ gelbten Aloeblätter die weiß und roten Dolden des Waſſerlieſch oder des Butomus umbellatus auf. Jeder Fremde der kam, wenn er nicht zufällig ein Kenner war, nahm dieſe Dolden für richtige Aloeblüten, und der Schloßherr hütete ſich wohl, dieſen Glauben, der eine Quelle der Erheiterung für ihn war, zu zerſtören.
Und wie denn alles hier herum den Namen Stechlin führte, ſo natürlich auch der Schloßherr ſelbſt. Auch er war ein Stechlin.
Dubslav von Stechlin, Major a. D. und ſchon ein gut Stück über Sechzig hinaus, war der Typus eines Märkiſchen von Adel, aber von der milderen Obſervanz, eines jener erquicklichen Originale, bei denen ſich ſelbſt die Schwächen in Vorzüge verwandeln. Er hatte noch ganz das eigentümlich ſympathiſch berührende Selbſtgefühl all derer, die „ſchon vor den Hohenzollern da waren“, aber er hegte dieſes Selbſtgefühl nur ganz im ſtillen, und wenn es dennoch zum Ausdruck kam, ſo kleidete ſich's in Humor, auch wohl in Selbſtironie, weil er ſeinem ganzen Weſen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte. Sein ſchönſter Zug war eine tiefe, ſo recht aus dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel und Überheblichkeit (während er ſonſt eine Neigung hatte, fünf gerade ſein zu laſſen) waren ſo ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. Er hörte gern eine freie Meinung, je draſtiſcher und extremer, deſto beſſer. Daß ſich dieſe Meinung mit der ſeinigen deckte, lag ihm fern zu wünſchen. Beinah das Gegenteil. Paradoxen waren ſeine Paſſion. „Ich bin nicht klug genug, ſelber welche zu machen, aber ich
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freilich nicht zukommenden Blüte ſtand. Und das hing
ſo zuſammen. Aus dem ſumpfigen Schloßgraben hatte
der Wind vor langer Zeit ein fremdes Samenkorn in
den Kübel der kranken Aloe geweht, und alljährlich
ſchoſſen infolge davon aus der Mitte der ſchon ange¬
gelbten Aloeblätter die weiß und roten Dolden des
Waſſerlieſch oder des Butomus umbellatus auf. Jeder
Fremde der kam, wenn er nicht zufällig ein Kenner
war, nahm dieſe Dolden für richtige Aloeblüten, und
der Schloßherr hütete ſich wohl, dieſen Glauben, der
eine Quelle der Erheiterung für ihn war, zu zerſtören.
Und wie denn alles hier herum den Namen
Stechlin führte, ſo natürlich auch der Schloßherr ſelbſt.
Auch er war ein Stechlin.
Dubslav von Stechlin, Major a. D. und ſchon
ein gut Stück über Sechzig hinaus, war der Typus
eines Märkiſchen von Adel, aber von der milderen
Obſervanz, eines jener erquicklichen Originale, bei denen
ſich ſelbſt die Schwächen in Vorzüge verwandeln. Er
hatte noch ganz das eigentümlich ſympathiſch berührende
Selbſtgefühl all derer, die „ſchon vor den Hohenzollern
da waren“, aber er hegte dieſes Selbſtgefühl nur ganz
im ſtillen, und wenn es dennoch zum Ausdruck kam,
ſo kleidete ſich's in Humor, auch wohl in Selbſtironie,
weil er ſeinem ganzen Weſen nach überhaupt hinter
alles ein Fragezeichen machte. Sein ſchönſter Zug war
eine tiefe, ſo recht aus dem Herzen kommende Humanität,
und Dünkel und Überheblichkeit (während er ſonſt eine
Neigung hatte, fünf gerade ſein zu laſſen) waren ſo
ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. Er
hörte gern eine freie Meinung, je draſtiſcher und
extremer, deſto beſſer. Daß ſich dieſe Meinung mit der
ſeinigen deckte, lag ihm fern zu wünſchen. Beinah das
Gegenteil. Paradoxen waren ſeine Paſſion. „Ich bin
nicht klug genug, ſelber welche zu machen, aber ich
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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/13>, abgerufen am 21.11.2024.
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