Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

freue mich, wenn's andre thun; es ist doch immer was
drin. Unanfechtbare Wahrheiten giebt es überhaupt
nicht, und wenn es welche giebt, so sind sie lang¬
weilig." Er ließ sich gern was vorplaudern und
plauderte selber gern.

Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkisch-
herkömmlich gewesen. Von jung an lieber im Sattel
als bei den Büchern, war er erst nach zweimaliger
Scheiterung siegreich durch das Fähnrichsexamen gesteuert
und gleich darnach bei den brandenburgischen Kürassieren
eingetreten, bei denen selbstverständlich auch schon sein
Vater gestanden hatte. Dieser sein Eintritt ins Regiment
fiel so ziemlich mit dem Regierungsantritt Friedrich Wil¬
helms IV. zusammen, und wenn er dessen erwähnte, so
hob er, sich selbst persiflierend, gerne hervor, "daß alles
Große seine Begleiterscheinungen habe." Seine Jahre
bei den Kürassieren waren im wesentlichen Friedensjahre
gewesen; nur anno vierundsechzig war er mit in Schleswig,
aber auch hier, ohne "zur Aktion" zu kommen. "Es
kommt für einen Märkischen nur darauf an, überhaupt
mit dabei gewesen zu sein; das andre steht in Gottes
Hand." Und er schmunzelte, wenn er dergleichen sagte,
seine Hörer jedesmal in Zweifel darüber lassend, ob er's
ernsthaft oder scherzhaft gemeint habe. Wenig mehr
als ein Jahr vor Ausbruch des vierundsechziger Kriegs
war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder
in seine Garnison Brandenburg eingerückt, nahm er den
Abschied, um sich auf sein seit dem Tode des Vaters
halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier
warteten seiner glückliche Tage, seine glücklichsten, aber
sie waren von kurzer Dauer -- schon das Jahr darauf
starb ihm die Frau. Sich eine neue zu nehmen, wider¬
stand ihm, halb aus Ordnungssinn und halb aus ästhe¬
tischer Rücksicht. "Wir glauben doch alle mehr oder
weniger an eine Auferstehung" (das heißt, er persönlich

freue mich, wenn's andre thun; es iſt doch immer was
drin. Unanfechtbare Wahrheiten giebt es überhaupt
nicht, und wenn es welche giebt, ſo ſind ſie lang¬
weilig.“ Er ließ ſich gern was vorplaudern und
plauderte ſelber gern.

Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkiſch-
herkömmlich geweſen. Von jung an lieber im Sattel
als bei den Büchern, war er erſt nach zweimaliger
Scheiterung ſiegreich durch das Fähnrichsexamen geſteuert
und gleich darnach bei den brandenburgiſchen Küraſſieren
eingetreten, bei denen ſelbſtverſtändlich auch ſchon ſein
Vater geſtanden hatte. Dieſer ſein Eintritt ins Regiment
fiel ſo ziemlich mit dem Regierungsantritt Friedrich Wil¬
helms IV. zuſammen, und wenn er deſſen erwähnte, ſo
hob er, ſich ſelbſt perſiflierend, gerne hervor, „daß alles
Große ſeine Begleiterſcheinungen habe.“ Seine Jahre
bei den Küraſſieren waren im weſentlichen Friedensjahre
geweſen; nur anno vierundſechzig war er mit in Schleswig,
aber auch hier, ohne „zur Aktion“ zu kommen. „Es
kommt für einen Märkiſchen nur darauf an, überhaupt
mit dabei geweſen zu ſein; das andre ſteht in Gottes
Hand.“ Und er ſchmunzelte, wenn er dergleichen ſagte,
ſeine Hörer jedesmal in Zweifel darüber laſſend, ob er's
ernſthaft oder ſcherzhaft gemeint habe. Wenig mehr
als ein Jahr vor Ausbruch des vierundſechziger Kriegs
war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder
in ſeine Garniſon Brandenburg eingerückt, nahm er den
Abſchied, um ſich auf ſein ſeit dem Tode des Vaters
halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier
warteten ſeiner glückliche Tage, ſeine glücklichſten, aber
ſie waren von kurzer Dauer — ſchon das Jahr darauf
ſtarb ihm die Frau. Sich eine neue zu nehmen, wider¬
ſtand ihm, halb aus Ordnungsſinn und halb aus äſthe¬
tiſcher Rückſicht. „Wir glauben doch alle mehr oder
weniger an eine Auferſtehung“ (das heißt, er perſönlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0014" n="7"/>
freue mich, wenn's andre thun; es i&#x017F;t doch immer was<lb/>
drin. Unanfechtbare Wahrheiten giebt es überhaupt<lb/>
nicht, und wenn es welche giebt, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie lang¬<lb/>
weilig.&#x201C; Er ließ &#x017F;ich gern was vorplaudern und<lb/>
plauderte &#x017F;elber gern.</p><lb/>
          <p>Des alten Schloßherrn Lebensgang war märki&#x017F;ch-<lb/>
herkömmlich gewe&#x017F;en. Von jung an lieber im Sattel<lb/>
als bei den Büchern, war er er&#x017F;t nach zweimaliger<lb/>
Scheiterung &#x017F;iegreich durch das Fähnrichsexamen ge&#x017F;teuert<lb/>
und gleich darnach bei den brandenburgi&#x017F;chen Küra&#x017F;&#x017F;ieren<lb/>
eingetreten, bei denen &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich auch &#x017F;chon &#x017F;ein<lb/>
Vater ge&#x017F;tanden hatte. Die&#x017F;er &#x017F;ein Eintritt ins Regiment<lb/>
fiel &#x017F;o ziemlich mit dem Regierungsantritt Friedrich Wil¬<lb/>
helms <hi rendition="#aq">IV</hi>. zu&#x017F;ammen, und wenn er de&#x017F;&#x017F;en erwähnte, &#x017F;o<lb/>
hob er, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t per&#x017F;iflierend, gerne hervor, &#x201E;daß alles<lb/>
Große &#x017F;eine Begleiter&#x017F;cheinungen habe.&#x201C; Seine Jahre<lb/>
bei den Küra&#x017F;&#x017F;ieren waren im we&#x017F;entlichen Friedensjahre<lb/>
gewe&#x017F;en; nur anno vierund&#x017F;echzig war er mit in Schleswig,<lb/>
aber auch hier, ohne &#x201E;zur Aktion&#x201C; zu kommen. &#x201E;Es<lb/>
kommt für einen Märki&#x017F;chen nur darauf an, überhaupt<lb/>
mit dabei gewe&#x017F;en zu &#x017F;ein; das andre &#x017F;teht in Gottes<lb/>
Hand.&#x201C; Und er &#x017F;chmunzelte, wenn er dergleichen &#x017F;agte,<lb/>
&#x017F;eine Hörer jedesmal in Zweifel darüber la&#x017F;&#x017F;end, ob er's<lb/>
ern&#x017F;thaft oder &#x017F;cherzhaft gemeint habe. Wenig mehr<lb/>
als ein Jahr vor Ausbruch des vierund&#x017F;echziger Kriegs<lb/>
war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder<lb/>
in &#x017F;eine Garni&#x017F;on Brandenburg eingerückt, nahm er den<lb/>
Ab&#x017F;chied, um &#x017F;ich auf &#x017F;ein &#x017F;eit dem Tode des Vaters<lb/>
halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier<lb/>
warteten &#x017F;einer glückliche Tage, &#x017F;eine glücklich&#x017F;ten, aber<lb/>
&#x017F;ie waren von kurzer Dauer &#x2014; &#x017F;chon das Jahr darauf<lb/>
&#x017F;tarb ihm die Frau. Sich eine neue zu nehmen, wider¬<lb/>
&#x017F;tand ihm, halb aus Ordnungs&#x017F;inn und halb aus ä&#x017F;the¬<lb/>
ti&#x017F;cher Rück&#x017F;icht. &#x201E;Wir glauben doch alle mehr oder<lb/>
weniger an eine Aufer&#x017F;tehung&#x201C; (das heißt, er per&#x017F;önlich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0014] freue mich, wenn's andre thun; es iſt doch immer was drin. Unanfechtbare Wahrheiten giebt es überhaupt nicht, und wenn es welche giebt, ſo ſind ſie lang¬ weilig.“ Er ließ ſich gern was vorplaudern und plauderte ſelber gern. Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkiſch- herkömmlich geweſen. Von jung an lieber im Sattel als bei den Büchern, war er erſt nach zweimaliger Scheiterung ſiegreich durch das Fähnrichsexamen geſteuert und gleich darnach bei den brandenburgiſchen Küraſſieren eingetreten, bei denen ſelbſtverſtändlich auch ſchon ſein Vater geſtanden hatte. Dieſer ſein Eintritt ins Regiment fiel ſo ziemlich mit dem Regierungsantritt Friedrich Wil¬ helms IV. zuſammen, und wenn er deſſen erwähnte, ſo hob er, ſich ſelbſt perſiflierend, gerne hervor, „daß alles Große ſeine Begleiterſcheinungen habe.“ Seine Jahre bei den Küraſſieren waren im weſentlichen Friedensjahre geweſen; nur anno vierundſechzig war er mit in Schleswig, aber auch hier, ohne „zur Aktion“ zu kommen. „Es kommt für einen Märkiſchen nur darauf an, überhaupt mit dabei geweſen zu ſein; das andre ſteht in Gottes Hand.“ Und er ſchmunzelte, wenn er dergleichen ſagte, ſeine Hörer jedesmal in Zweifel darüber laſſend, ob er's ernſthaft oder ſcherzhaft gemeint habe. Wenig mehr als ein Jahr vor Ausbruch des vierundſechziger Kriegs war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder in ſeine Garniſon Brandenburg eingerückt, nahm er den Abſchied, um ſich auf ſein ſeit dem Tode des Vaters halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier warteten ſeiner glückliche Tage, ſeine glücklichſten, aber ſie waren von kurzer Dauer — ſchon das Jahr darauf ſtarb ihm die Frau. Sich eine neue zu nehmen, wider¬ ſtand ihm, halb aus Ordnungsſinn und halb aus äſthe¬ tiſcher Rückſicht. „Wir glauben doch alle mehr oder weniger an eine Auferſtehung“ (das heißt, er perſönlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/14
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/14>, abgerufen am 21.11.2024.