zimmer diente. Das war, mit Ausnahme der Schlaf- und Wirtschaftsräume, das Ganze, worüber man Ver¬ fügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beschränkt, hing aber sehr an dem Hause, so daß ein Wohnungs¬ wechsel oder auch nur der Gedanke daran, so gut wie ausgeschlossen war. Einmal hatte die liebenswürdige, besonders mit Gräfin Melusine befreundete Baronin Berchtesgaden einen solchen Wohnungswechsel in Vor¬ schlag gebracht, aber nur um sofort einem lebhaften Widerspruche zu begegnen. "Ich sehe schon, Baronin, Sie führen den ganzen Lennestraßenstolz gegen uns ins Gefecht. Ihre Lennestraße! Nun ja, wenn's sein muß. Aber was haben Sie da groß? Sie haben den Lessing ganz und den Goethe halb. Und um beides will ich Sie beneiden und Ihnen auch die Spreewalds¬ ammen in Rechnung stellen. Aber die Lennestraßenwelt ist geschlossen, ist zu, sie hat keinen Blick ins Weite, kein Wasser, das fließt, keinen Verkehr, der flutet. Wenn ich in unsrer Nische sitze, die lange Reihe der heran¬ kommenden Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah und nicht zu weit, und sehe dabei, wie das Abendrot den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem Filigran¬ werk der Ausstellungsparktürmchen schimmert, was will Ihre grüne Tiergartenwand dagegen?" Und dabei wies die Gräfin auf einen gerade vorüberdampfenden Zug, und die Baronin gab sich zufrieden.
Ein solcher Abend war auch heute; die Balkonthür stand auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf seine Lichter auf den schweren Teppich, der durch das ganze Zimmer hin lag. Es mochte die sechste Stunde sein und die Fenster drüben an den Häusern der andern Seite standen wie in roter Glut. Ganz in der Nähe des Kamins saß Armgard, die jüngere Tochter, in ihren Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußspitze leicht auf den Ständer gestemmt. Die Stickerei, daran sie bis dahin
zimmer diente. Das war, mit Ausnahme der Schlaf- und Wirtſchaftsräume, das Ganze, worüber man Ver¬ fügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beſchränkt, hing aber ſehr an dem Hauſe, ſo daß ein Wohnungs¬ wechſel oder auch nur der Gedanke daran, ſo gut wie ausgeſchloſſen war. Einmal hatte die liebenswürdige, beſonders mit Gräfin Meluſine befreundete Baronin Berchtesgaden einen ſolchen Wohnungswechſel in Vor¬ ſchlag gebracht, aber nur um ſofort einem lebhaften Widerſpruche zu begegnen. „Ich ſehe ſchon, Baronin, Sie führen den ganzen Lennéſtraßenſtolz gegen uns ins Gefecht. Ihre Lennéſtraße! Nun ja, wenn's ſein muß. Aber was haben Sie da groß? Sie haben den Leſſing ganz und den Goethe halb. Und um beides will ich Sie beneiden und Ihnen auch die Spreewalds¬ ammen in Rechnung ſtellen. Aber die Lennéſtraßenwelt iſt geſchloſſen, iſt zu, ſie hat keinen Blick ins Weite, kein Waſſer, das fließt, keinen Verkehr, der flutet. Wenn ich in unſrer Niſche ſitze, die lange Reihe der heran¬ kommenden Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah und nicht zu weit, und ſehe dabei, wie das Abendrot den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem Filigran¬ werk der Ausſtellungsparktürmchen ſchimmert, was will Ihre grüne Tiergartenwand dagegen?“ Und dabei wies die Gräfin auf einen gerade vorüberdampfenden Zug, und die Baronin gab ſich zufrieden.
Ein ſolcher Abend war auch heute; die Balkonthür ſtand auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf ſeine Lichter auf den ſchweren Teppich, der durch das ganze Zimmer hin lag. Es mochte die ſechſte Stunde ſein und die Fenſter drüben an den Häuſern der andern Seite ſtanden wie in roter Glut. Ganz in der Nähe des Kamins ſaß Armgard, die jüngere Tochter, in ihren Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußſpitze leicht auf den Ständer geſtemmt. Die Stickerei, daran ſie bis dahin
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0147"n="140"/>
zimmer diente. Das war, mit Ausnahme der Schlaf-<lb/>
und Wirtſchaftsräume, das Ganze, worüber man Ver¬<lb/>
fügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beſchränkt,<lb/>
hing aber ſehr an dem Hauſe, ſo daß ein Wohnungs¬<lb/>
wechſel oder auch nur der Gedanke daran, ſo gut wie<lb/>
ausgeſchloſſen war. Einmal hatte die liebenswürdige,<lb/>
beſonders mit Gräfin Meluſine befreundete Baronin<lb/>
Berchtesgaden einen ſolchen Wohnungswechſel in Vor¬<lb/>ſchlag gebracht, aber nur um ſofort einem lebhaften<lb/>
Widerſpruche zu begegnen. „Ich ſehe ſchon, Baronin,<lb/>
Sie führen den ganzen Lenn<hirendition="#aq">é</hi>ſtraßenſtolz gegen uns<lb/>
ins Gefecht. Ihre Lenn<hirendition="#aq">é</hi>ſtraße! Nun ja, wenn's ſein<lb/>
muß. Aber was haben Sie da groß? Sie haben den<lb/>
Leſſing ganz und den Goethe halb. Und um beides<lb/>
will ich Sie beneiden und Ihnen auch die Spreewalds¬<lb/>
ammen in Rechnung ſtellen. Aber die Lenn<hirendition="#aq">é</hi>ſtraßenwelt<lb/>
iſt geſchloſſen, iſt zu, ſie hat keinen Blick ins Weite,<lb/>
kein Waſſer, das fließt, keinen Verkehr, der flutet. Wenn<lb/>
ich in unſrer Niſche ſitze, die lange Reihe der heran¬<lb/>
kommenden Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah<lb/>
und nicht zu weit, und ſehe dabei, wie das Abendrot<lb/>
den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem Filigran¬<lb/>
werk der Ausſtellungsparktürmchen ſchimmert, was will<lb/>
Ihre grüne Tiergartenwand dagegen?“ Und dabei wies<lb/>
die Gräfin auf einen gerade vorüberdampfenden Zug,<lb/>
und die Baronin gab ſich zufrieden.</p><lb/><p>Ein ſolcher Abend war auch heute; die Balkonthür<lb/>ſtand auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf ſeine<lb/>
Lichter auf den ſchweren Teppich, der durch das ganze<lb/>
Zimmer hin lag. Es mochte die ſechſte Stunde ſein<lb/>
und die Fenſter drüben an den Häuſern der andern<lb/>
Seite ſtanden wie in roter Glut. Ganz in der Nähe<lb/>
des Kamins ſaß Armgard, die jüngere Tochter, in ihren<lb/>
Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußſpitze leicht auf den<lb/>
Ständer geſtemmt. Die Stickerei, daran ſie bis dahin<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[140/0147]
zimmer diente. Das war, mit Ausnahme der Schlaf-
und Wirtſchaftsräume, das Ganze, worüber man Ver¬
fügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beſchränkt,
hing aber ſehr an dem Hauſe, ſo daß ein Wohnungs¬
wechſel oder auch nur der Gedanke daran, ſo gut wie
ausgeſchloſſen war. Einmal hatte die liebenswürdige,
beſonders mit Gräfin Meluſine befreundete Baronin
Berchtesgaden einen ſolchen Wohnungswechſel in Vor¬
ſchlag gebracht, aber nur um ſofort einem lebhaften
Widerſpruche zu begegnen. „Ich ſehe ſchon, Baronin,
Sie führen den ganzen Lennéſtraßenſtolz gegen uns
ins Gefecht. Ihre Lennéſtraße! Nun ja, wenn's ſein
muß. Aber was haben Sie da groß? Sie haben den
Leſſing ganz und den Goethe halb. Und um beides
will ich Sie beneiden und Ihnen auch die Spreewalds¬
ammen in Rechnung ſtellen. Aber die Lennéſtraßenwelt
iſt geſchloſſen, iſt zu, ſie hat keinen Blick ins Weite,
kein Waſſer, das fließt, keinen Verkehr, der flutet. Wenn
ich in unſrer Niſche ſitze, die lange Reihe der heran¬
kommenden Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah
und nicht zu weit, und ſehe dabei, wie das Abendrot
den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem Filigran¬
werk der Ausſtellungsparktürmchen ſchimmert, was will
Ihre grüne Tiergartenwand dagegen?“ Und dabei wies
die Gräfin auf einen gerade vorüberdampfenden Zug,
und die Baronin gab ſich zufrieden.
Ein ſolcher Abend war auch heute; die Balkonthür
ſtand auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf ſeine
Lichter auf den ſchweren Teppich, der durch das ganze
Zimmer hin lag. Es mochte die ſechſte Stunde ſein
und die Fenſter drüben an den Häuſern der andern
Seite ſtanden wie in roter Glut. Ganz in der Nähe
des Kamins ſaß Armgard, die jüngere Tochter, in ihren
Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußſpitze leicht auf den
Ständer geſtemmt. Die Stickerei, daran ſie bis dahin
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/147>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.