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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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erlebte, hieß er nur noch so ganz obenhin "Herr Ver¬
sicherungssekretär", war aber in Wahrheit über diesen
seinen Titel weit hinausgewachsen und besaß bereits das
schöne Haus am Kronprinzenufer. Er hatte sich das
leisten können, weil er im Laufe der letzten fünf Jahre
zweimal hintereinander ein Viertel vom großen Lose
gewonnen hatte. Dies sah er sich allerseits als persön¬
liches Verdienst angerechnet und auch wohl mit Recht.
Denn arbeiten kann jeder, das große Los gewinnen kann
nicht jeder. Und so blieb er denn bei der Versicherungs¬
gesellschaft lediglich nur noch als verhätscheltes Zierstück,
weil es damals wie jetzt einen guten Eindruck machte,
Personen der Art im Dienst oder gar als Teilnehmer
zu haben. An der Spitze muß immer ein Fürst stehen.
Und Schickedanz war jetzt Fürst. Alles drängte sich nicht
bloß an ihn, sondern seine Stammtischfreunde, die zu
seiner zweimal bewährten Glückshand ein unbedingtes
Vertrauen hatten, drangen sogar eine Zeitlang in ihn,
die Lotterielose für sie zu ziehen. Aber keiner gewann,
was schließlich einen Umschlag schuf und einzelne von
"bösem Blick" und sogar ganz unsinnigerweise von
Mogelei sprechen ließ. Die meisten indessen hielten es
für klug, ihr Übelwollen zurückzuhalten; war er doch
immerhin ein Mann, der jedem, wenn er wollte, Deckung
und Stütze geben konnte. Ja, Schickedanz' Glück und
Ansehen waren groß, am größten natürlich an seinem
Jubiläumstage. Nicht zu glauben, wer da alles kam.
Nur ein Orden kam nicht, was denn auch von einigen
Schickedanzfanatikern sehr mißliebig bemerkt wurde.
Besonders schmerzlich empfand es die Frau. "Gott,
er hat doch immer so treu gewählt," sagte sie. Sie
kam aber nicht in die Lage, sich in diesen Schmerz ein¬
zuleben, da schon die nächsten Zeiten bestimmt waren,
ihr Schwereres zu bringen. Am 21. September war
das Jubiläum gewesen, am 21. Oktober erkrankte er,

erlebte, hieß er nur noch ſo ganz obenhin „Herr Ver¬
ſicherungsſekretär“, war aber in Wahrheit über dieſen
ſeinen Titel weit hinausgewachſen und beſaß bereits das
ſchöne Haus am Kronprinzenufer. Er hatte ſich das
leiſten können, weil er im Laufe der letzten fünf Jahre
zweimal hintereinander ein Viertel vom großen Loſe
gewonnen hatte. Dies ſah er ſich allerſeits als perſön¬
liches Verdienſt angerechnet und auch wohl mit Recht.
Denn arbeiten kann jeder, das große Los gewinnen kann
nicht jeder. Und ſo blieb er denn bei der Verſicherungs¬
geſellſchaft lediglich nur noch als verhätſcheltes Zierſtück,
weil es damals wie jetzt einen guten Eindruck machte,
Perſonen der Art im Dienſt oder gar als Teilnehmer
zu haben. An der Spitze muß immer ein Fürſt ſtehen.
Und Schickedanz war jetzt Fürſt. Alles drängte ſich nicht
bloß an ihn, ſondern ſeine Stammtiſchfreunde, die zu
ſeiner zweimal bewährten Glückshand ein unbedingtes
Vertrauen hatten, drangen ſogar eine Zeitlang in ihn,
die Lotterieloſe für ſie zu ziehen. Aber keiner gewann,
was ſchließlich einen Umſchlag ſchuf und einzelne von
„böſem Blick“ und ſogar ganz unſinnigerweiſe von
Mogelei ſprechen ließ. Die meiſten indeſſen hielten es
für klug, ihr Übelwollen zurückzuhalten; war er doch
immerhin ein Mann, der jedem, wenn er wollte, Deckung
und Stütze geben konnte. Ja, Schickedanz' Glück und
Anſehen waren groß, am größten natürlich an ſeinem
Jubiläumstage. Nicht zu glauben, wer da alles kam.
Nur ein Orden kam nicht, was denn auch von einigen
Schickedanzfanatikern ſehr mißliebig bemerkt wurde.
Beſonders ſchmerzlich empfand es die Frau. „Gott,
er hat doch immer ſo treu gewählt,“ ſagte ſie. Sie
kam aber nicht in die Lage, ſich in dieſen Schmerz ein¬
zuleben, da ſchon die nächſten Zeiten beſtimmt waren,
ihr Schwereres zu bringen. Am 21. September war
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[152/0159] erlebte, hieß er nur noch ſo ganz obenhin „Herr Ver¬ ſicherungsſekretär“, war aber in Wahrheit über dieſen ſeinen Titel weit hinausgewachſen und beſaß bereits das ſchöne Haus am Kronprinzenufer. Er hatte ſich das leiſten können, weil er im Laufe der letzten fünf Jahre zweimal hintereinander ein Viertel vom großen Loſe gewonnen hatte. Dies ſah er ſich allerſeits als perſön¬ liches Verdienſt angerechnet und auch wohl mit Recht. Denn arbeiten kann jeder, das große Los gewinnen kann nicht jeder. Und ſo blieb er denn bei der Verſicherungs¬ geſellſchaft lediglich nur noch als verhätſcheltes Zierſtück, weil es damals wie jetzt einen guten Eindruck machte, Perſonen der Art im Dienſt oder gar als Teilnehmer zu haben. An der Spitze muß immer ein Fürſt ſtehen. Und Schickedanz war jetzt Fürſt. Alles drängte ſich nicht bloß an ihn, ſondern ſeine Stammtiſchfreunde, die zu ſeiner zweimal bewährten Glückshand ein unbedingtes Vertrauen hatten, drangen ſogar eine Zeitlang in ihn, die Lotterieloſe für ſie zu ziehen. Aber keiner gewann, was ſchließlich einen Umſchlag ſchuf und einzelne von „böſem Blick“ und ſogar ganz unſinnigerweiſe von Mogelei ſprechen ließ. Die meiſten indeſſen hielten es für klug, ihr Übelwollen zurückzuhalten; war er doch immerhin ein Mann, der jedem, wenn er wollte, Deckung und Stütze geben konnte. Ja, Schickedanz' Glück und Anſehen waren groß, am größten natürlich an ſeinem Jubiläumstage. Nicht zu glauben, wer da alles kam. Nur ein Orden kam nicht, was denn auch von einigen Schickedanzfanatikern ſehr mißliebig bemerkt wurde. Beſonders ſchmerzlich empfand es die Frau. „Gott, er hat doch immer ſo treu gewählt,“ ſagte ſie. Sie kam aber nicht in die Lage, ſich in dieſen Schmerz ein¬ zuleben, da ſchon die nächſten Zeiten beſtimmt waren, ihr Schwereres zu bringen. Am 21. September war das Jubiläum geweſen, am 21. Oktober erkrankte er,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/159>, abgerufen am 21.11.2024.