matischen Dienst über, wozu seine Bildung, sein Ver¬ mögen, seine gesellschaftliche Stellung ihn gleichmäßig geeignet erscheinen ließen. Noch im selben Jahre ging er nach London, erst als Attache, wurde dann Botschafts¬ rat und blieb in dieser Stellung zunächst bis in die Tage der Aufrichtung des Deutschen Reichs. Seine Beziehungen sowohl zu der heimisch-englischen wie zu der außer¬ englischen Aristokratie waren jederzeit die besten, und sein Freundschaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtes¬ gaden entstammte jener Zeit. Er hing sehr an London. Das englische Leben, an dem er manches, vor allem die geschraubte Kirchlichkeit, beanstandete, war ihm trotzdem außerordentlich sympathisch, und er hatte sich daran ge¬ wöhnt, sich als verwachsen damit anzusehen. Auch seine Familie, die Frau und die zwei Töchter -- beide, wenn auch in großem Abstande, während der Londoner Tage geboren -- teilten des Vaters Vorliebe für England und englisches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um, was der Graf geplant: die Frau starb plötzlich, und der Aufenthalt an der ihm so lieb gewordenen Stätte war ihm vergällt. Er nahm in der ersten Hälfte der 80er Jahre seine Demission, ging zunächst auf die Plantaschen Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden, um sich in Florenz seßhaft zu machen. Die Luft, die Kunst, die Heiterkeit der Menschen, alles that ihm hier wohl, und er fühlte, daß er genaß soweit er wieder ge¬ nesen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und sein Glück schien sich noch steigern zu sollen, als sich die ältere Tochter mit dem italienischen Grafen Ghiberti ver¬ lobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die Fortdauer dieser Ehe stellte sich bald als eine Unmöglich¬ keit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung ausgesprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach Deutschland zurück, das er, seit einem Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und besuchsweise wiedergesehen hatte.
matiſchen Dienſt über, wozu ſeine Bildung, ſein Ver¬ mögen, ſeine geſellſchaftliche Stellung ihn gleichmäßig geeignet erſcheinen ließen. Noch im ſelben Jahre ging er nach London, erſt als Attaché, wurde dann Botſchafts¬ rat und blieb in dieſer Stellung zunächſt bis in die Tage der Aufrichtung des Deutſchen Reichs. Seine Beziehungen ſowohl zu der heimiſch-engliſchen wie zu der außer¬ engliſchen Ariſtokratie waren jederzeit die beſten, und ſein Freundſchaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtes¬ gaden entſtammte jener Zeit. Er hing ſehr an London. Das engliſche Leben, an dem er manches, vor allem die geſchraubte Kirchlichkeit, beanſtandete, war ihm trotzdem außerordentlich ſympathiſch, und er hatte ſich daran ge¬ wöhnt, ſich als verwachſen damit anzuſehen. Auch ſeine Familie, die Frau und die zwei Töchter — beide, wenn auch in großem Abſtande, während der Londoner Tage geboren — teilten des Vaters Vorliebe für England und engliſches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um, was der Graf geplant: die Frau ſtarb plötzlich, und der Aufenthalt an der ihm ſo lieb gewordenen Stätte war ihm vergällt. Er nahm in der erſten Hälfte der 80er Jahre ſeine Demiſſion, ging zunächſt auf die Plantaſchen Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden, um ſich in Florenz ſeßhaft zu machen. Die Luft, die Kunſt, die Heiterkeit der Menſchen, alles that ihm hier wohl, und er fühlte, daß er genaß ſoweit er wieder ge¬ neſen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und ſein Glück ſchien ſich noch ſteigern zu ſollen, als ſich die ältere Tochter mit dem italieniſchen Grafen Ghiberti ver¬ lobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die Fortdauer dieſer Ehe ſtellte ſich bald als eine Unmöglich¬ keit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung ausgeſprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach Deutſchland zurück, das er, ſeit einem Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und beſuchsweiſe wiedergeſehen hatte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0165"n="158"/>
matiſchen Dienſt über, wozu ſeine Bildung, ſein Ver¬<lb/>
mögen, ſeine geſellſchaftliche Stellung ihn gleichmäßig<lb/>
geeignet erſcheinen ließen. Noch im ſelben Jahre ging<lb/>
er nach London, erſt als Attach<hirendition="#aq">é</hi>, wurde dann Botſchafts¬<lb/>
rat und blieb in dieſer Stellung zunächſt bis in die Tage<lb/>
der Aufrichtung des Deutſchen Reichs. Seine Beziehungen<lb/>ſowohl zu der heimiſch-engliſchen wie zu der außer¬<lb/>
engliſchen Ariſtokratie waren jederzeit die beſten, und ſein<lb/>
Freundſchaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtes¬<lb/>
gaden entſtammte jener Zeit. Er hing ſehr an London.<lb/>
Das engliſche Leben, an dem er manches, vor allem die<lb/>
geſchraubte Kirchlichkeit, beanſtandete, war ihm trotzdem<lb/>
außerordentlich ſympathiſch, und er hatte ſich daran ge¬<lb/>
wöhnt, ſich als verwachſen damit anzuſehen. Auch ſeine<lb/>
Familie, die Frau und die zwei Töchter — beide, wenn<lb/>
auch in großem Abſtande, während der Londoner Tage<lb/>
geboren — teilten des Vaters Vorliebe für England und<lb/>
engliſches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um,<lb/>
was der Graf geplant: die Frau ſtarb plötzlich, und der<lb/>
Aufenthalt an der ihm ſo lieb gewordenen Stätte war<lb/>
ihm vergällt. Er nahm in der erſten Hälfte der 80er<lb/>
Jahre ſeine Demiſſion, ging zunächſt auf die Plantaſchen<lb/>
Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden,<lb/>
um ſich in Florenz ſeßhaft zu machen. Die Luft, die<lb/>
Kunſt, die Heiterkeit der Menſchen, alles that ihm hier<lb/>
wohl, und er fühlte, daß er genaß ſoweit er wieder ge¬<lb/>
neſen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und<lb/>ſein Glück ſchien ſich noch ſteigern zu ſollen, als ſich die<lb/>
ältere Tochter mit dem italieniſchen Grafen Ghiberti ver¬<lb/>
lobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die<lb/>
Fortdauer dieſer Ehe ſtellte ſich bald als eine Unmöglich¬<lb/>
keit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung<lb/>
ausgeſprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach<lb/>
Deutſchland zurück, das er, ſeit einem Vierteljahrhundert,<lb/>
immer nur flüchtig und beſuchsweiſe wiedergeſehen hatte.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[158/0165]
matiſchen Dienſt über, wozu ſeine Bildung, ſein Ver¬
mögen, ſeine geſellſchaftliche Stellung ihn gleichmäßig
geeignet erſcheinen ließen. Noch im ſelben Jahre ging
er nach London, erſt als Attaché, wurde dann Botſchafts¬
rat und blieb in dieſer Stellung zunächſt bis in die Tage
der Aufrichtung des Deutſchen Reichs. Seine Beziehungen
ſowohl zu der heimiſch-engliſchen wie zu der außer¬
engliſchen Ariſtokratie waren jederzeit die beſten, und ſein
Freundſchaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtes¬
gaden entſtammte jener Zeit. Er hing ſehr an London.
Das engliſche Leben, an dem er manches, vor allem die
geſchraubte Kirchlichkeit, beanſtandete, war ihm trotzdem
außerordentlich ſympathiſch, und er hatte ſich daran ge¬
wöhnt, ſich als verwachſen damit anzuſehen. Auch ſeine
Familie, die Frau und die zwei Töchter — beide, wenn
auch in großem Abſtande, während der Londoner Tage
geboren — teilten des Vaters Vorliebe für England und
engliſches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um,
was der Graf geplant: die Frau ſtarb plötzlich, und der
Aufenthalt an der ihm ſo lieb gewordenen Stätte war
ihm vergällt. Er nahm in der erſten Hälfte der 80er
Jahre ſeine Demiſſion, ging zunächſt auf die Plantaſchen
Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden,
um ſich in Florenz ſeßhaft zu machen. Die Luft, die
Kunſt, die Heiterkeit der Menſchen, alles that ihm hier
wohl, und er fühlte, daß er genaß ſoweit er wieder ge¬
neſen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und
ſein Glück ſchien ſich noch ſteigern zu ſollen, als ſich die
ältere Tochter mit dem italieniſchen Grafen Ghiberti ver¬
lobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die
Fortdauer dieſer Ehe ſtellte ſich bald als eine Unmöglich¬
keit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung
ausgeſprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach
Deutſchland zurück, das er, ſeit einem Vierteljahrhundert,
immer nur flüchtig und beſuchsweiſe wiedergeſehen hatte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/165>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.