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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Mann. Ich hab' ihn eigentlich gern, weil er anders ist
wie andre."


Der alte Graf behielt recht mit seiner Vermutung:
Armgard hatte den Doktor Wrschowitz aufgefordert zu
bleiben, und als bald danach Jeserich eintrat, um den
Grafen und Woldemar zum Thee zu bitten, fanden diese
beim Eintritt in das Mittelzimmer nicht nur Armgard,
sondern auch Wrschowitz vor, der, die Finger ineinander
gefaltet, mitten in dem Salon stand und die an der
Büffettwand hängenden Bilder mit jenem eigentümlichen
Mischausdruck von aufrichtigem Gelangweiltsein und er¬
künsteltem Interesse musterte. Der Rittmeister hatte dem
Grafen wieder seinen Arm geboten; Armgard ging auf
Woldemar zu und sprach ihm ihre Freude aus, daß er
gekommen; auch Melusine werde gewiß bald da sein; sie
habe noch zuletzt gesagt: "Du sollst sehen, heute kommt
Stechlin." Danach wandte sich die junge Comtesse wieder
Wrschowitz zu, der sich eben in das von Hubert Herkomer
gemalte Bild der verstorbenen Gräfin vertieft zu haben
schien, und sagte, gegenseitig vorstellend: "Doktor Wrscho¬
witz, Rittmeister von Stechlin." Woldemar, seiner In¬
struktion eingedenk, verbeugte sich sehr artig, während
Wrschowitz, ziemlich ablehnend, seinem Gesicht den stolzen
Doppelausdruck von Künstler und Hussiten gab.

Der alte Graf hatte mittlerweile Platz genommen,
entschuldigte sich, mit der unglücklichen Stellage beschwer¬
lich fallen zu müssen, und bat die beiden Herren, sich
neben ihm niederzulassen, während Armgard, dem Vater
gegenüber, an der andern Schmalseite des Tisches saß.
Der alte Graf nahm seine Tasse Thee, schob den Cognac,
"des Thees bessren Teil," mit einem humoristischen Seufzer
beiseit und sagte, während er sich links zu Wrschowitz
wandte: "Wenn ich recht gehört habe, -- so ein bißchen

Mann. Ich hab' ihn eigentlich gern, weil er anders iſt
wie andre.“


Der alte Graf behielt recht mit ſeiner Vermutung:
Armgard hatte den Doktor Wrſchowitz aufgefordert zu
bleiben, und als bald danach Jeſerich eintrat, um den
Grafen und Woldemar zum Thee zu bitten, fanden dieſe
beim Eintritt in das Mittelzimmer nicht nur Armgard,
ſondern auch Wrſchowitz vor, der, die Finger ineinander
gefaltet, mitten in dem Salon ſtand und die an der
Büffettwand hängenden Bilder mit jenem eigentümlichen
Miſchausdruck von aufrichtigem Gelangweiltſein und er¬
künſteltem Intereſſe muſterte. Der Rittmeiſter hatte dem
Grafen wieder ſeinen Arm geboten; Armgard ging auf
Woldemar zu und ſprach ihm ihre Freude aus, daß er
gekommen; auch Meluſine werde gewiß bald da ſein; ſie
habe noch zuletzt geſagt: „Du ſollſt ſehen, heute kommt
Stechlin.“ Danach wandte ſich die junge Comteſſe wieder
Wrſchowitz zu, der ſich eben in das von Hubert Herkomer
gemalte Bild der verſtorbenen Gräfin vertieft zu haben
ſchien, und ſagte, gegenſeitig vorſtellend: „Doktor Wrſcho¬
witz, Rittmeiſter von Stechlin.“ Woldemar, ſeiner In¬
ſtruktion eingedenk, verbeugte ſich ſehr artig, während
Wrſchowitz, ziemlich ablehnend, ſeinem Geſicht den ſtolzen
Doppelausdruck von Künſtler und Huſſiten gab.

Der alte Graf hatte mittlerweile Platz genommen,
entſchuldigte ſich, mit der unglücklichen Stellage beſchwer¬
lich fallen zu müſſen, und bat die beiden Herren, ſich
neben ihm niederzulaſſen, während Armgard, dem Vater
gegenüber, an der andern Schmalſeite des Tiſches ſaß.
Der alte Graf nahm ſeine Taſſe Thee, ſchob den Cognac,
„des Thees beſſren Teil,“ mit einem humoriſtiſchen Seufzer
beiſeit und ſagte, während er ſich links zu Wrſchowitz
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[164/0171] Mann. Ich hab' ihn eigentlich gern, weil er anders iſt wie andre.“ Der alte Graf behielt recht mit ſeiner Vermutung: Armgard hatte den Doktor Wrſchowitz aufgefordert zu bleiben, und als bald danach Jeſerich eintrat, um den Grafen und Woldemar zum Thee zu bitten, fanden dieſe beim Eintritt in das Mittelzimmer nicht nur Armgard, ſondern auch Wrſchowitz vor, der, die Finger ineinander gefaltet, mitten in dem Salon ſtand und die an der Büffettwand hängenden Bilder mit jenem eigentümlichen Miſchausdruck von aufrichtigem Gelangweiltſein und er¬ künſteltem Intereſſe muſterte. Der Rittmeiſter hatte dem Grafen wieder ſeinen Arm geboten; Armgard ging auf Woldemar zu und ſprach ihm ihre Freude aus, daß er gekommen; auch Meluſine werde gewiß bald da ſein; ſie habe noch zuletzt geſagt: „Du ſollſt ſehen, heute kommt Stechlin.“ Danach wandte ſich die junge Comteſſe wieder Wrſchowitz zu, der ſich eben in das von Hubert Herkomer gemalte Bild der verſtorbenen Gräfin vertieft zu haben ſchien, und ſagte, gegenſeitig vorſtellend: „Doktor Wrſcho¬ witz, Rittmeiſter von Stechlin.“ Woldemar, ſeiner In¬ ſtruktion eingedenk, verbeugte ſich ſehr artig, während Wrſchowitz, ziemlich ablehnend, ſeinem Geſicht den ſtolzen Doppelausdruck von Künſtler und Huſſiten gab. Der alte Graf hatte mittlerweile Platz genommen, entſchuldigte ſich, mit der unglücklichen Stellage beſchwer¬ lich fallen zu müſſen, und bat die beiden Herren, ſich neben ihm niederzulaſſen, während Armgard, dem Vater gegenüber, an der andern Schmalſeite des Tiſches ſaß. Der alte Graf nahm ſeine Taſſe Thee, ſchob den Cognac, „des Thees beſſren Teil,“ mit einem humoriſtiſchen Seufzer beiſeit und ſagte, während er ſich links zu Wrſchowitz wandte: „Wenn ich recht gehört habe, — ſo ein bißchen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/171>, abgerufen am 21.11.2024.