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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Menschen; die damaligen waren nur Prinzen. Eine der
Passionen unsers Rheinsberger Prinzen -- wenn man
will, in einer Art Gegensatz von dem, was schon
gesagt wurde -- war eine geheimnisvolle Vorliebe für
jungfräuliche Tote, besonders Bräute. Wenn eine Braut
im Rheinsbergischen, am liebsten auf dem Lande, gestorben
war, so lud er sich zu dem Begräbnis zu Gast. Und eh'
der Geistliche noch da sein konnte (den vermied er), er¬
schien er und stellte sich an das Fußende des Sarges und
starrte die Tote an. Aber sie mußte geschminkt sein und
aussehen wie das Leben."

"Aber das ist ja schrecklich," brach es beinahe leiden¬
schaftlich aus Armgard hervor. "Ich mag diesen Prinzen
nicht und seine ganze Fronde nicht. Denn die müssen
ebenso gewesen sein. Das ist ja Blasphemie, das ist ja
Gräberschändung, -- ich muß das Wort aussprechen,
weil ich so empört bin und nicht anders kann."

Der alte Graf sah die Tochter an, und ein Freuden¬
strahl umleuchtete sein gutes altes Gesicht. Auch Wrscho¬
witz empfand so was von unbedingter Huldigung, bezwang
sich aber und sah, statt auf Armgard, auf das Bild der
Gräfin-Mutter, das von der Wand niederblickte.

Nur Woldemar blieb ruhig und sagte: "Comtesse,
Sie gehen vielleicht zu weit. Wissen Sie, was in der
Seele des Prinzen vorgegangen ist? Es kann etwas In¬
fernales gewesen sein, aber auch etwas ganz andres. Wir
wissen es nicht. Und weil er nebenher unbedingt große
Züge hatte, so bin ich dafür, ihm das in Rechnung zu
stellen."

"Bravo, Stechlin," sagte der alte Graf. "Ich war
erst Armgards Meinung. Aber Sie haben recht, wir
wissen es nicht. Und so viel weiß ich noch von der Ju¬
risterei her, in der ich, wohl oder übel, eine Gastrolle
gab, daß man in zweifelhaften Fällen in favorem ent¬
scheiden muß. Übrigens geht eben die Klingel. An bester

Menſchen; die damaligen waren nur Prinzen. Eine der
Paſſionen unſers Rheinsberger Prinzen — wenn man
will, in einer Art Gegenſatz von dem, was ſchon
geſagt wurde — war eine geheimnisvolle Vorliebe für
jungfräuliche Tote, beſonders Bräute. Wenn eine Braut
im Rheinsbergiſchen, am liebſten auf dem Lande, geſtorben
war, ſo lud er ſich zu dem Begräbnis zu Gaſt. Und eh'
der Geiſtliche noch da ſein konnte (den vermied er), er¬
ſchien er und ſtellte ſich an das Fußende des Sarges und
ſtarrte die Tote an. Aber ſie mußte geſchminkt ſein und
ausſehen wie das Leben.“

„Aber das iſt ja ſchrecklich,“ brach es beinahe leiden¬
ſchaftlich aus Armgard hervor. „Ich mag dieſen Prinzen
nicht und ſeine ganze Fronde nicht. Denn die müſſen
ebenſo geweſen ſein. Das iſt ja Blasphemie, das iſt ja
Gräberſchändung, — ich muß das Wort ausſprechen,
weil ich ſo empört bin und nicht anders kann.“

Der alte Graf ſah die Tochter an, und ein Freuden¬
ſtrahl umleuchtete ſein gutes altes Geſicht. Auch Wrſcho¬
witz empfand ſo was von unbedingter Huldigung, bezwang
ſich aber und ſah, ſtatt auf Armgard, auf das Bild der
Gräfin-Mutter, das von der Wand niederblickte.

Nur Woldemar blieb ruhig und ſagte: „Comteſſe,
Sie gehen vielleicht zu weit. Wiſſen Sie, was in der
Seele des Prinzen vorgegangen iſt? Es kann etwas In¬
fernales geweſen ſein, aber auch etwas ganz andres. Wir
wiſſen es nicht. Und weil er nebenher unbedingt große
Züge hatte, ſo bin ich dafür, ihm das in Rechnung zu
ſtellen.“

„Bravo, Stechlin,“ ſagte der alte Graf. „Ich war
erſt Armgards Meinung. Aber Sie haben recht, wir
wiſſen es nicht. Und ſo viel weiß ich noch von der Ju¬
riſterei her, in der ich, wohl oder übel, eine Gaſtrolle
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[170/0177] Menſchen; die damaligen waren nur Prinzen. Eine der Paſſionen unſers Rheinsberger Prinzen — wenn man will, in einer Art Gegenſatz von dem, was ſchon geſagt wurde — war eine geheimnisvolle Vorliebe für jungfräuliche Tote, beſonders Bräute. Wenn eine Braut im Rheinsbergiſchen, am liebſten auf dem Lande, geſtorben war, ſo lud er ſich zu dem Begräbnis zu Gaſt. Und eh' der Geiſtliche noch da ſein konnte (den vermied er), er¬ ſchien er und ſtellte ſich an das Fußende des Sarges und ſtarrte die Tote an. Aber ſie mußte geſchminkt ſein und ausſehen wie das Leben.“ „Aber das iſt ja ſchrecklich,“ brach es beinahe leiden¬ ſchaftlich aus Armgard hervor. „Ich mag dieſen Prinzen nicht und ſeine ganze Fronde nicht. Denn die müſſen ebenſo geweſen ſein. Das iſt ja Blasphemie, das iſt ja Gräberſchändung, — ich muß das Wort ausſprechen, weil ich ſo empört bin und nicht anders kann.“ Der alte Graf ſah die Tochter an, und ein Freuden¬ ſtrahl umleuchtete ſein gutes altes Geſicht. Auch Wrſcho¬ witz empfand ſo was von unbedingter Huldigung, bezwang ſich aber und ſah, ſtatt auf Armgard, auf das Bild der Gräfin-Mutter, das von der Wand niederblickte. Nur Woldemar blieb ruhig und ſagte: „Comteſſe, Sie gehen vielleicht zu weit. Wiſſen Sie, was in der Seele des Prinzen vorgegangen iſt? Es kann etwas In¬ fernales geweſen ſein, aber auch etwas ganz andres. Wir wiſſen es nicht. Und weil er nebenher unbedingt große Züge hatte, ſo bin ich dafür, ihm das in Rechnung zu ſtellen.“ „Bravo, Stechlin,“ ſagte der alte Graf. „Ich war erſt Armgards Meinung. Aber Sie haben recht, wir wiſſen es nicht. Und ſo viel weiß ich noch von der Ju¬ riſterei her, in der ich, wohl oder übel, eine Gaſtrolle gab, daß man in zweifelhaften Fällen in favorem ent¬ ſcheiden muß. Übrigens geht eben die Klingel. An beſter

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/177>, abgerufen am 21.11.2024.