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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Die Lind," warf die Baronin etwas prosaisch ein,
"soll ihrerseits als Kind sehr häßlich gewesen sein."

"Ich hätte das Gegenteil vermutet," bemerkte Wol¬
demar.

"Und auf welche Veranlassung hin, lieber Stechlin?"

"Weil ich ein Bild von ihr kenne. Wir haben es,
wie bekannt, seit einiger Zeit von einem unsrer besten Maler
auf unsrer Nationalgalerie. Aber lange bevor ich es da
sah, kannt' ich es schon en miniature, und zwar aus einer
im Besitz meines Freundes Lorenzen befindlichen Aquarelle.
Diese Kopie hängt über seinem Sofa, dicht unter einer
Rubensschen Kreuzabnahme. Wenn man will, eine
etwas sonderbare Zusammenstellung."

"Und das alles in Ihrer Stechliner Pfarre!" sagte
Melusine. "Wissen Sie, Rittmeister, daß ich die That¬
sache, daß so was überhaupt in einem kleinen Dorfe vor¬
kommen kann, Ihrem berühmten See beinah' gleichstelle?
Unsre schwedische Nachtigall in Ihrem "Ruppiner Winkel",
wie Sie selbst beständig sich auszudrücken lieben. Die Lind!
Und wie kam Ihr Pastor dazu?"

"Die Lind war, glaub' ich, seine erste Liebe. Sehr
wahrscheinlich auch seine letzte. Lorenzen saß damals
noch auf der Schulbank und schlug sich mit Stundengeben
durch. Aber er hörte die Diva trotzdem jeden Abend und
wußte sich auch, trotz bescheidenster Mittel, das Bildchen
zu verschaffen. Fast grenzt es ans Wunderbare. Freilich
verlaufen die Dinge meist so. Wär' er reich gewesen, so
hätt' er sein Geld anderweitig verthan und die Lind viel¬
leicht nie gehört und gesehen. Nur die Armen bringen
die Mittel auf für das, was jenseits des Gewöhnlichen
liegt; aus Begeisterung und Liebe fließt alles. Und es
ist etwas sehr Schönes, daß es so ist in unserm Leben.
Vielleicht das Schönste."

"Das will ich meinen," sagte die Gräfin. "Und ich
dank' es Ihnen, lieber Stechlin, daß Sie das gesagt haben.

13*

„Die Lind,“ warf die Baronin etwas proſaiſch ein,
„ſoll ihrerſeits als Kind ſehr häßlich geweſen ſein.“

„Ich hätte das Gegenteil vermutet,“ bemerkte Wol¬
demar.

„Und auf welche Veranlaſſung hin, lieber Stechlin?“

„Weil ich ein Bild von ihr kenne. Wir haben es,
wie bekannt, ſeit einiger Zeit von einem unſrer beſten Maler
auf unſrer Nationalgalerie. Aber lange bevor ich es da
ſah, kannt' ich es ſchon en miniature, und zwar aus einer
im Beſitz meines Freundes Lorenzen befindlichen Aquarelle.
Dieſe Kopie hängt über ſeinem Sofa, dicht unter einer
Rubensſchen Kreuzabnahme. Wenn man will, eine
etwas ſonderbare Zuſammenſtellung.“

„Und das alles in Ihrer Stechliner Pfarre!“ ſagte
Meluſine. „Wiſſen Sie, Rittmeiſter, daß ich die That¬
ſache, daß ſo was überhaupt in einem kleinen Dorfe vor¬
kommen kann, Ihrem berühmten See beinah' gleichſtelle?
Unſre ſchwediſche Nachtigall in Ihrem „Ruppiner Winkel“,
wie Sie ſelbſt beſtändig ſich auszudrücken lieben. Die Lind!
Und wie kam Ihr Paſtor dazu?“

„Die Lind war, glaub' ich, ſeine erſte Liebe. Sehr
wahrſcheinlich auch ſeine letzte. Lorenzen ſaß damals
noch auf der Schulbank und ſchlug ſich mit Stundengeben
durch. Aber er hörte die Diva trotzdem jeden Abend und
wußte ſich auch, trotz beſcheidenſter Mittel, das Bildchen
zu verſchaffen. Faſt grenzt es ans Wunderbare. Freilich
verlaufen die Dinge meiſt ſo. Wär' er reich geweſen, ſo
hätt' er ſein Geld anderweitig verthan und die Lind viel¬
leicht nie gehört und geſehen. Nur die Armen bringen
die Mittel auf für das, was jenſeits des Gewöhnlichen
liegt; aus Begeiſterung und Liebe fließt alles. Und es
iſt etwas ſehr Schönes, daß es ſo iſt in unſerm Leben.
Vielleicht das Schönſte.“

„Das will ich meinen,“ ſagte die Gräfin. „Und ich
dank' es Ihnen, lieber Stechlin, daß Sie das geſagt haben.

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[195/0202] „Die Lind,“ warf die Baronin etwas proſaiſch ein, „ſoll ihrerſeits als Kind ſehr häßlich geweſen ſein.“ „Ich hätte das Gegenteil vermutet,“ bemerkte Wol¬ demar. „Und auf welche Veranlaſſung hin, lieber Stechlin?“ „Weil ich ein Bild von ihr kenne. Wir haben es, wie bekannt, ſeit einiger Zeit von einem unſrer beſten Maler auf unſrer Nationalgalerie. Aber lange bevor ich es da ſah, kannt' ich es ſchon en miniature, und zwar aus einer im Beſitz meines Freundes Lorenzen befindlichen Aquarelle. Dieſe Kopie hängt über ſeinem Sofa, dicht unter einer Rubensſchen Kreuzabnahme. Wenn man will, eine etwas ſonderbare Zuſammenſtellung.“ „Und das alles in Ihrer Stechliner Pfarre!“ ſagte Meluſine. „Wiſſen Sie, Rittmeiſter, daß ich die That¬ ſache, daß ſo was überhaupt in einem kleinen Dorfe vor¬ kommen kann, Ihrem berühmten See beinah' gleichſtelle? Unſre ſchwediſche Nachtigall in Ihrem „Ruppiner Winkel“, wie Sie ſelbſt beſtändig ſich auszudrücken lieben. Die Lind! Und wie kam Ihr Paſtor dazu?“ „Die Lind war, glaub' ich, ſeine erſte Liebe. Sehr wahrſcheinlich auch ſeine letzte. Lorenzen ſaß damals noch auf der Schulbank und ſchlug ſich mit Stundengeben durch. Aber er hörte die Diva trotzdem jeden Abend und wußte ſich auch, trotz beſcheidenſter Mittel, das Bildchen zu verſchaffen. Faſt grenzt es ans Wunderbare. Freilich verlaufen die Dinge meiſt ſo. Wär' er reich geweſen, ſo hätt' er ſein Geld anderweitig verthan und die Lind viel¬ leicht nie gehört und geſehen. Nur die Armen bringen die Mittel auf für das, was jenſeits des Gewöhnlichen liegt; aus Begeiſterung und Liebe fließt alles. Und es iſt etwas ſehr Schönes, daß es ſo iſt in unſerm Leben. Vielleicht das Schönſte.“ „Das will ich meinen,“ ſagte die Gräfin. „Und ich dank' es Ihnen, lieber Stechlin, daß Sie das geſagt haben. 13*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/202>, abgerufen am 21.11.2024.