Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

die sozusagen eine Zipfelmütze tragen, sind mir von jeher
ein Greuel gewesen. Interesse hat doch immer nur das
va banque: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere,
Luftballons. Ich denke mir, das Nächste was wir er¬
leben, sind Luftschifferschlachten. Wenn dann so eine
Gondel die andre entert. Ich kann mich in solche Vor¬
stellungen geradezu verlieben."

"Ja, liebe Melusine, das seh' ich," unterbrach hier
die Baronin. "Sie verlieben sich in solche Vorstellungen
und vergessen darüber die Wirklichkeiten und sogar unser
Programm. Ich muß angesichts dieser doch erst kommenden
Luftschifferschlachten ganz ergebenst daran erinnern, daß
für heute noch wer anders in der Luft schwebt und
zwar Pastor Lorenzen. Von dem sollte die Rede sein.
Freilich, der ist kein Pyrotechniker."

"Nein," lachte Woldemar, "das ist er nicht. Aber
als einen Aeronauten kann ich ihn Ihnen beinahe vor¬
stellen. Er ist so recht ein Excelsior-, ein Aufsteigemensch,
einer aus der wirklichen Obersphäre, genau von daher, wo
alles Hohe zu Haus ist, die Hoffnung und sogar die Liebe."

"Ja," lachte die Baronin, "die Hoffnung und sogar
die Liebe! Wo bleibt aber das Dritte? Da müssen's zu
uns kommen. Wir haben noch das Dritte; das heißt
also wir wissen auch, was wir glauben sollen."

"Ja, sollen."

"Sollen, gewiß. Sollen, das ist die Hauptsache. Wenn
man weiß, was man soll, so find't sich's schon. Aber wo das
Sollen fehlt, da fehlt auch das Wollen. Es ist halt a
Glück, daß wir Rom haben und den heiligen Vater."

"Ach," sagte Melusine, "wer's Ihnen glaubt, Baronin!
Aber lassen wir so heikle Fragen und hören wir lieber
von dem, den ich -- ich bin beschämt darüber -- in so
wenig verbindlicher Weise vergessen konnte, von unserm
Wundermann mit der Studentenliebe, von dem Säulen¬
heiligen, der reinen Herzens ist, und vor allem von dem

die ſozuſagen eine Zipfelmütze tragen, ſind mir von jeher
ein Greuel geweſen. Intereſſe hat doch immer nur das
va banque: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere,
Luftballons. Ich denke mir, das Nächſte was wir er¬
leben, ſind Luftſchifferſchlachten. Wenn dann ſo eine
Gondel die andre entert. Ich kann mich in ſolche Vor¬
ſtellungen geradezu verlieben.“

„Ja, liebe Meluſine, das ſeh' ich,“ unterbrach hier
die Baronin. „Sie verlieben ſich in ſolche Vorſtellungen
und vergeſſen darüber die Wirklichkeiten und ſogar unſer
Programm. Ich muß angeſichts dieſer doch erſt kommenden
Luftſchifferſchlachten ganz ergebenſt daran erinnern, daß
für heute noch wer anders in der Luft ſchwebt und
zwar Paſtor Lorenzen. Von dem ſollte die Rede ſein.
Freilich, der iſt kein Pyrotechniker.“

„Nein,“ lachte Woldemar, „das iſt er nicht. Aber
als einen Aëronauten kann ich ihn Ihnen beinahe vor¬
ſtellen. Er iſt ſo recht ein Excelſior-, ein Aufſteigemenſch,
einer aus der wirklichen Oberſphäre, genau von daher, wo
alles Hohe zu Haus iſt, die Hoffnung und ſogar die Liebe.“

„Ja,“ lachte die Baronin, „die Hoffnung und ſogar
die Liebe! Wo bleibt aber das Dritte? Da müſſen's zu
uns kommen. Wir haben noch das Dritte; das heißt
alſo wir wiſſen auch, was wir glauben ſollen.“

„Ja, ſollen.“

„Sollen, gewiß. Sollen, das iſt die Hauptſache. Wenn
man weiß, was man ſoll, ſo find't ſich's ſchon. Aber wo das
Sollen fehlt, da fehlt auch das Wollen. Es iſt halt a
Glück, daß wir Rom haben und den heiligen Vater.“

„Ach,“ ſagte Meluſine, „wer's Ihnen glaubt, Baronin!
Aber laſſen wir ſo heikle Fragen und hören wir lieber
von dem, den ich — ich bin beſchämt darüber — in ſo
wenig verbindlicher Weiſe vergeſſen konnte, von unſerm
Wundermann mit der Studentenliebe, von dem Säulen¬
heiligen, der reinen Herzens iſt, und vor allem von dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="199"/>
die &#x017F;ozu&#x017F;agen eine Zipfelmütze tragen, &#x017F;ind mir von jeher<lb/>
ein Greuel gewe&#x017F;en. Intere&#x017F;&#x017F;e hat doch immer nur das<lb/><hi rendition="#aq">va banque</hi>: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere,<lb/>
Luftballons. Ich denke mir, das Näch&#x017F;te was wir er¬<lb/>
leben, &#x017F;ind Luft&#x017F;chiffer&#x017F;chlachten. Wenn dann &#x017F;o eine<lb/>
Gondel die andre entert. Ich kann mich in &#x017F;olche Vor¬<lb/>
&#x017F;tellungen geradezu verlieben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, liebe Melu&#x017F;ine, das &#x017F;eh' ich,&#x201C; unterbrach hier<lb/>
die Baronin. &#x201E;Sie verlieben &#x017F;ich in &#x017F;olche Vor&#x017F;tellungen<lb/>
und verge&#x017F;&#x017F;en darüber die Wirklichkeiten und &#x017F;ogar un&#x017F;er<lb/>
Programm. Ich muß ange&#x017F;ichts die&#x017F;er doch er&#x017F;t kommenden<lb/>
Luft&#x017F;chiffer&#x017F;chlachten ganz ergeben&#x017F;t daran erinnern, daß<lb/>
für heute noch wer anders in der Luft &#x017F;chwebt und<lb/>
zwar Pa&#x017F;tor Lorenzen. Von <hi rendition="#g">dem</hi> &#x017F;ollte die Rede &#x017F;ein.<lb/>
Freilich, der i&#x017F;t kein Pyrotechniker.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nein,&#x201C; lachte Woldemar, &#x201E;<hi rendition="#g">das</hi> i&#x017F;t er nicht. Aber<lb/>
als einen Aëronauten kann ich ihn Ihnen beinahe vor¬<lb/>
&#x017F;tellen. Er i&#x017F;t &#x017F;o recht ein Excel&#x017F;ior-, ein Auf&#x017F;teigemen&#x017F;ch,<lb/>
einer aus der wirklichen Ober&#x017F;phäre, genau von daher, wo<lb/>
alles Hohe zu Haus i&#x017F;t, die Hoffnung und &#x017F;ogar die Liebe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja,&#x201C; lachte die Baronin, &#x201E;die Hoffnung und &#x017F;ogar<lb/>
die Liebe! Wo bleibt aber das Dritte? Da mü&#x017F;&#x017F;en's zu<lb/>
uns kommen. Wir haben noch das Dritte; das heißt<lb/>
al&#x017F;o wir wi&#x017F;&#x017F;en auch, was wir <hi rendition="#g">glauben</hi> &#x017F;ollen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, <hi rendition="#g">&#x017F;ollen</hi>.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sollen, gewiß. Sollen, das i&#x017F;t die Haupt&#x017F;ache. Wenn<lb/>
man weiß, was man &#x017F;oll, &#x017F;o find't &#x017F;ich's &#x017F;chon. Aber wo das<lb/>
Sollen fehlt, da fehlt auch das Wollen. Es i&#x017F;t halt a<lb/>
Glück, daß wir Rom haben und den heiligen Vater.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ach,&#x201C; &#x017F;agte Melu&#x017F;ine, &#x201E;wer's Ihnen glaubt, Baronin!<lb/>
Aber la&#x017F;&#x017F;en wir &#x017F;o heikle Fragen und hören wir lieber<lb/>
von <hi rendition="#g">dem</hi>, den ich &#x2014; ich bin be&#x017F;chämt darüber &#x2014; in &#x017F;o<lb/>
wenig verbindlicher Wei&#x017F;e verge&#x017F;&#x017F;en konnte, von un&#x017F;erm<lb/>
Wundermann mit der Studentenliebe, von dem Säulen¬<lb/>
heiligen, der reinen Herzens i&#x017F;t, und vor allem von dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0206] die ſozuſagen eine Zipfelmütze tragen, ſind mir von jeher ein Greuel geweſen. Intereſſe hat doch immer nur das va banque: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere, Luftballons. Ich denke mir, das Nächſte was wir er¬ leben, ſind Luftſchifferſchlachten. Wenn dann ſo eine Gondel die andre entert. Ich kann mich in ſolche Vor¬ ſtellungen geradezu verlieben.“ „Ja, liebe Meluſine, das ſeh' ich,“ unterbrach hier die Baronin. „Sie verlieben ſich in ſolche Vorſtellungen und vergeſſen darüber die Wirklichkeiten und ſogar unſer Programm. Ich muß angeſichts dieſer doch erſt kommenden Luftſchifferſchlachten ganz ergebenſt daran erinnern, daß für heute noch wer anders in der Luft ſchwebt und zwar Paſtor Lorenzen. Von dem ſollte die Rede ſein. Freilich, der iſt kein Pyrotechniker.“ „Nein,“ lachte Woldemar, „das iſt er nicht. Aber als einen Aëronauten kann ich ihn Ihnen beinahe vor¬ ſtellen. Er iſt ſo recht ein Excelſior-, ein Aufſteigemenſch, einer aus der wirklichen Oberſphäre, genau von daher, wo alles Hohe zu Haus iſt, die Hoffnung und ſogar die Liebe.“ „Ja,“ lachte die Baronin, „die Hoffnung und ſogar die Liebe! Wo bleibt aber das Dritte? Da müſſen's zu uns kommen. Wir haben noch das Dritte; das heißt alſo wir wiſſen auch, was wir glauben ſollen.“ „Ja, ſollen.“ „Sollen, gewiß. Sollen, das iſt die Hauptſache. Wenn man weiß, was man ſoll, ſo find't ſich's ſchon. Aber wo das Sollen fehlt, da fehlt auch das Wollen. Es iſt halt a Glück, daß wir Rom haben und den heiligen Vater.“ „Ach,“ ſagte Meluſine, „wer's Ihnen glaubt, Baronin! Aber laſſen wir ſo heikle Fragen und hören wir lieber von dem, den ich — ich bin beſchämt darüber — in ſo wenig verbindlicher Weiſe vergeſſen konnte, von unſerm Wundermann mit der Studentenliebe, von dem Säulen¬ heiligen, der reinen Herzens iſt, und vor allem von dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/206
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/206>, abgerufen am 21.11.2024.