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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Achtzehntes Kapitel.

Draußen, unter dem Gezweig der alten Linden,
standen mehrere Kaleschwagen, aber der des Super¬
intendenten fehlte noch, weil Koseleger eine viel längere
Sitzung erwartet und darauf hin seinen Wagen erst zu
zehn Uhr bestellt hatte. Bis dahin war noch eine hübsche
Zeit; der Superintendent indessen schien nicht unzufrieden
darüber und seines Amtsbruders Arm nehmend, sagte
er: "Lieber Lorenzen, ich muß mich, wie Sie sehen, bei
Ihnen zu Gaste laden. Als Unverheirateter werden Sie,
so hoffe ich, über die Störung leicht hinwegkommen.
Die Ehe bedeutet in der Regel Segen, wenigstens an
Kindern, aber die Nichtehe hat auch ihre Segnungen.
Unsre guten Frauen entschlagen sich dieser Einsicht und
dieser unbedingte Glauben an sich und ihre Wichtigkeit
hat oft was Rührendes."

Lorenzen, der sich -- bei voller Würdigung der
Gaben seines ihm vorgesetzten und zugleich gern einen
spöttischen Ton anschlagenden Amtsbruders -- im all¬
gemeinen nicht viel aus ihm machte, war diesmal mit
allem einverstanden und nickte, während sie, schräg über
den Platz fort, auf die Pfarre zuschritten.

"Ja, diese Einbildungen!" fuhr Koseleger fort, zu
dessen Lieblingsgesprächen dieses Thema gehörte. "Ge¬
wiß ist es richtig, daß wir samt und sonders von Ein¬
bildungen leben, aber für die Frauen ist es das täg¬

Achtzehntes Kapitel.

Draußen, unter dem Gezweig der alten Linden,
ſtanden mehrere Kaleſchwagen, aber der des Super¬
intendenten fehlte noch, weil Koſeleger eine viel längere
Sitzung erwartet und darauf hin ſeinen Wagen erſt zu
zehn Uhr beſtellt hatte. Bis dahin war noch eine hübſche
Zeit; der Superintendent indeſſen ſchien nicht unzufrieden
darüber und ſeines Amtsbruders Arm nehmend, ſagte
er: „Lieber Lorenzen, ich muß mich, wie Sie ſehen, bei
Ihnen zu Gaſte laden. Als Unverheirateter werden Sie,
ſo hoffe ich, über die Störung leicht hinwegkommen.
Die Ehe bedeutet in der Regel Segen, wenigſtens an
Kindern, aber die Nichtehe hat auch ihre Segnungen.
Unſre guten Frauen entſchlagen ſich dieſer Einſicht und
dieſer unbedingte Glauben an ſich und ihre Wichtigkeit
hat oft was Rührendes.“

Lorenzen, der ſich — bei voller Würdigung der
Gaben ſeines ihm vorgeſetzten und zugleich gern einen
ſpöttiſchen Ton anſchlagenden Amtsbruders — im all¬
gemeinen nicht viel aus ihm machte, war diesmal mit
allem einverſtanden und nickte, während ſie, ſchräg über
den Platz fort, auf die Pfarre zuſchritten.

„Ja, dieſe Einbildungen!“ fuhr Koſeleger fort, zu
deſſen Lieblingsgeſprächen dieſes Thema gehörte. „Ge¬
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[[218]/0225] Achtzehntes Kapitel. Draußen, unter dem Gezweig der alten Linden, ſtanden mehrere Kaleſchwagen, aber der des Super¬ intendenten fehlte noch, weil Koſeleger eine viel längere Sitzung erwartet und darauf hin ſeinen Wagen erſt zu zehn Uhr beſtellt hatte. Bis dahin war noch eine hübſche Zeit; der Superintendent indeſſen ſchien nicht unzufrieden darüber und ſeines Amtsbruders Arm nehmend, ſagte er: „Lieber Lorenzen, ich muß mich, wie Sie ſehen, bei Ihnen zu Gaſte laden. Als Unverheirateter werden Sie, ſo hoffe ich, über die Störung leicht hinwegkommen. Die Ehe bedeutet in der Regel Segen, wenigſtens an Kindern, aber die Nichtehe hat auch ihre Segnungen. Unſre guten Frauen entſchlagen ſich dieſer Einſicht und dieſer unbedingte Glauben an ſich und ihre Wichtigkeit hat oft was Rührendes.“ Lorenzen, der ſich — bei voller Würdigung der Gaben ſeines ihm vorgeſetzten und zugleich gern einen ſpöttiſchen Ton anſchlagenden Amtsbruders — im all¬ gemeinen nicht viel aus ihm machte, war diesmal mit allem einverſtanden und nickte, während ſie, ſchräg über den Platz fort, auf die Pfarre zuſchritten. „Ja, dieſe Einbildungen!“ fuhr Koſeleger fort, zu deſſen Lieblingsgeſprächen dieſes Thema gehörte. „Ge¬ wiß iſt es richtig, daß wir ſamt und ſonders von Ein¬ bildungen leben, aber für die Frauen iſt es das täg¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [218]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/225>, abgerufen am 21.11.2024.