Ich persönlich finde jedoch das Temperierte besser. Aber ich bitte, bestimmen zu wollen, Herr Superintendent."
"Temperiert. Mir aus der Seele gesprochen. Also wir bleiben, wo wir sind ... Aber sagen Sie mir, Lorenzen, wer war das entzückende Geschöpf? Wie ein Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie alt ist sie denn?"
"Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke."
"Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden sind. Immer solche Menschenblüte zu sehn. Und sieb¬ zehn, sagen Sie. Ja, das ist das Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen von der Eierschale, noch ein bißchen den Einsegnungscharakter, und achtzehn ist schon wieder all¬ täglich. Achtzehn kann jeder sein. Aber siebzehn. Ein wunderbarer Mittelzustand. Und wie heißt sie?"
"Elfriede."
"Auch das noch."
Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.
"Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wissen nicht, wie gut Sie's haben in dieser Ihrer Waldpfarre. Was ich hier sehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beispielsweise den Tisch wieder ver¬ gegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer halben Stunde gesessen haben, an der linken Seite dieser Krippenstapel (er sei wie er sei) und an der rechten Seite dieser Rolf Krake. Das sind ja doch lauter Größen. Denn das Groteske hat eben auch seine Größen und nicht die Schlechtesten. Und dazu dieser Katzler mit seiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um sich her und dazu dies Kind, diese Elfriede, die hoffentlich nicht Kulicke heißt. -- sonst bricht freilich mein ganzes Begeisterungsgebäude wieder zusammen. Und nun nehmen Sie mich, Ihren Superintendenten, das große Kirchenlicht dieser Gegenden! Alles nackte Prosa, wider¬ haarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht ver¬
Ich perſönlich finde jedoch das Temperierte beſſer. Aber ich bitte, beſtimmen zu wollen, Herr Superintendent.“
„Temperiert. Mir aus der Seele geſprochen. Alſo wir bleiben, wo wir ſind ... Aber ſagen Sie mir, Lorenzen, wer war das entzückende Geſchöpf? Wie ein Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie alt iſt ſie denn?“
„Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke.“
„Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden ſind. Immer ſolche Menſchenblüte zu ſehn. Und ſieb¬ zehn, ſagen Sie. Ja, das iſt das Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen von der Eierſchale, noch ein bißchen den Einſegnungscharakter, und achtzehn iſt ſchon wieder all¬ täglich. Achtzehn kann jeder ſein. Aber ſiebzehn. Ein wunderbarer Mittelzuſtand. Und wie heißt ſie?“
„Elfriede.“
„Auch das noch.“
Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.
„Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wiſſen nicht, wie gut Sie's haben in dieſer Ihrer Waldpfarre. Was ich hier ſehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beiſpielsweiſe den Tiſch wieder ver¬ gegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer halben Stunde geſeſſen haben, an der linken Seite dieſer Krippenſtapel (er ſei wie er ſei) und an der rechten Seite dieſer Rolf Krake. Das ſind ja doch lauter Größen. Denn das Groteske hat eben auch ſeine Größen und nicht die Schlechteſten. Und dazu dieſer Katzler mit ſeiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um ſich her und dazu dies Kind, dieſe Elfriede, die hoffentlich nicht Kulicke heißt. — ſonſt bricht freilich mein ganzes Begeiſterungsgebäude wieder zuſammen. Und nun nehmen Sie mich, Ihren Superintendenten, das große Kirchenlicht dieſer Gegenden! Alles nackte Proſa, wider¬ haarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht ver¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0229"n="222"/>
Ich perſönlich finde jedoch das Temperierte beſſer. Aber<lb/>
ich bitte, beſtimmen zu wollen, Herr Superintendent.“</p><lb/><p>„Temperiert. Mir aus der Seele geſprochen. Alſo<lb/>
wir bleiben, wo wir ſind ... Aber ſagen Sie mir,<lb/>
Lorenzen, wer war das entzückende Geſchöpf? Wie ein<lb/>
Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen.<lb/>
Wie alt iſt ſie denn?“</p><lb/><p>„Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke.“</p><lb/><p>„Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden<lb/>ſind. Immer ſolche Menſchenblüte zu ſehn. Und ſieb¬<lb/>
zehn, ſagen Sie. Ja, das iſt das Eigentliche. Sechzehn hat<lb/>
noch ein bißchen von der Eierſchale, noch ein bißchen den<lb/>
Einſegnungscharakter, und achtzehn iſt ſchon wieder all¬<lb/>
täglich. Achtzehn kann jeder ſein. Aber ſiebzehn. Ein<lb/>
wunderbarer Mittelzuſtand. Und wie heißt ſie?“</p><lb/><p>„Elfriede.“</p><lb/><p>„Auch <hirendition="#g">das</hi> noch.“</p><lb/><p>Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.</p><lb/><p>„Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wiſſen nicht, wie<lb/>
gut Sie's haben in dieſer Ihrer Waldpfarre. Was ich<lb/>
hier ſehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles.<lb/>
Wenn ich mir da beiſpielsweiſe den Tiſch wieder ver¬<lb/>
gegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer<lb/>
halben Stunde geſeſſen haben, an der linken Seite dieſer<lb/>
Krippenſtapel (er ſei wie er ſei) und an der rechten<lb/>
Seite dieſer Rolf Krake. Das ſind ja doch lauter Größen.<lb/>
Denn das Groteske hat eben <hirendition="#g">auch</hi>ſeine Größen und<lb/>
nicht die Schlechteſten. Und dazu dieſer Katzler mit<lb/>ſeiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um ſich<lb/>
her und dazu dies Kind, dieſe Elfriede, die hoffentlich<lb/>
nicht Kulicke heißt. —ſonſt bricht freilich mein ganzes<lb/>
Begeiſterungsgebäude wieder zuſammen. Und nun<lb/>
nehmen Sie <hirendition="#g">mich</hi>, Ihren Superintendenten, das große<lb/>
Kirchenlicht dieſer Gegenden! Alles nackte Proſa, wider¬<lb/>
haarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht ver¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[222/0229]
Ich perſönlich finde jedoch das Temperierte beſſer. Aber
ich bitte, beſtimmen zu wollen, Herr Superintendent.“
„Temperiert. Mir aus der Seele geſprochen. Alſo
wir bleiben, wo wir ſind ... Aber ſagen Sie mir,
Lorenzen, wer war das entzückende Geſchöpf? Wie ein
Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen.
Wie alt iſt ſie denn?“
„Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke.“
„Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden
ſind. Immer ſolche Menſchenblüte zu ſehn. Und ſieb¬
zehn, ſagen Sie. Ja, das iſt das Eigentliche. Sechzehn hat
noch ein bißchen von der Eierſchale, noch ein bißchen den
Einſegnungscharakter, und achtzehn iſt ſchon wieder all¬
täglich. Achtzehn kann jeder ſein. Aber ſiebzehn. Ein
wunderbarer Mittelzuſtand. Und wie heißt ſie?“
„Elfriede.“
„Auch das noch.“
Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.
„Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wiſſen nicht, wie
gut Sie's haben in dieſer Ihrer Waldpfarre. Was ich
hier ſehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles.
Wenn ich mir da beiſpielsweiſe den Tiſch wieder ver¬
gegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer
halben Stunde geſeſſen haben, an der linken Seite dieſer
Krippenſtapel (er ſei wie er ſei) und an der rechten
Seite dieſer Rolf Krake. Das ſind ja doch lauter Größen.
Denn das Groteske hat eben auch ſeine Größen und
nicht die Schlechteſten. Und dazu dieſer Katzler mit
ſeiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um ſich
her und dazu dies Kind, dieſe Elfriede, die hoffentlich
nicht Kulicke heißt. — ſonſt bricht freilich mein ganzes
Begeiſterungsgebäude wieder zuſammen. Und nun
nehmen Sie mich, Ihren Superintendenten, das große
Kirchenlicht dieſer Gegenden! Alles nackte Proſa, wider¬
haarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht ver¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/229>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.