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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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vornehme Welt, die da zu Hause ist. Und da war ich
denn heut in Amsterdam und morgen in Scheveningen
und den dritten Tag in Gent oder in Brügge. Brügge,
Reliquienschrein, Hans Memling -- so was müßten
Sie sehn. Was sollen uns diese ewigen Markgrafen oder
gar die faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, ist für's
härene Gewand oder zum Eremiten geboren. Ich nicht.
Ich bin von der andern Seite; meine Seele hängt an Leben
und Schönheit. Und nun spricht da draußen all dergleichen
zu einem, und man tränkt sich damit und hat einen Ehr¬
geiz, nicht einen kindischen, sondern einen echten, der
höher hinauf will, weil man da wirken und schaffen
kann, für sich gewiß, aber auch für andre. Danach
dürstet einen. Und nun kommt der Becher, der diesen
Durst stillen soll. Und dieser Becher heißt Quaden-
Hennersdorf. Das Dorf, das mich umgiebt, ist ein
großes Bauerndorf, aufgesteifte Leute, geschwollen und
hartherzig, und natürlich so trocken und trivial, wie die
Leute hier alle sind. Und noch stolz darauf. Ach,
Lorenzen, immer wieder, wie beneide ich Sie!"

Während Koseleger noch so sprach, erschien Frau
Kulicke. Sie schob die Zeitungen zurück, um zwei
Couverts legen zu können, und nun brachte sie den
Rotwein und ein Cabaret mit Brötchen. In dünnge¬
schliffene große Gläser schenkte Lorenzen ein, und die
beiden Amtsbrüder stießen an "auf bessere Zeiten."
Aber sie dachten sich sehr Verschiedenes dabei, weil
sich der eine nur mit sich, der andre nur mit andern
beschäftigte.

"Wir könnten, glaub' ich," sagte Lorenzen, "neben
den "besseren Zeiten" noch dies und das leben lassen.
Zunächst Ihr Wohl, Herr Superintendent. Und zum
zweiten auf das Wohl unsers guten alten Stechlin, der
uns doch heute zusammengeführt. Ob wir ihn durch¬
bringen? Katzler that so sicher und Kluckhuhn und

vornehme Welt, die da zu Hauſe iſt. Und da war ich
denn heut in Amſterdam und morgen in Scheveningen
und den dritten Tag in Gent oder in Brügge. Brügge,
Reliquienſchrein, Hans Memling — ſo was müßten
Sie ſehn. Was ſollen uns dieſe ewigen Markgrafen oder
gar die faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, iſt für's
härene Gewand oder zum Eremiten geboren. Ich nicht.
Ich bin von der andern Seite; meine Seele hängt an Leben
und Schönheit. Und nun ſpricht da draußen all dergleichen
zu einem, und man tränkt ſich damit und hat einen Ehr¬
geiz, nicht einen kindiſchen, ſondern einen echten, der
höher hinauf will, weil man da wirken und ſchaffen
kann, für ſich gewiß, aber auch für andre. Danach
dürſtet einen. Und nun kommt der Becher, der dieſen
Durſt ſtillen ſoll. Und dieſer Becher heißt Quaden-
Hennersdorf. Das Dorf, das mich umgiebt, iſt ein
großes Bauerndorf, aufgeſteifte Leute, geſchwollen und
hartherzig, und natürlich ſo trocken und trivial, wie die
Leute hier alle ſind. Und noch ſtolz darauf. Ach,
Lorenzen, immer wieder, wie beneide ich Sie!“

Während Koſeleger noch ſo ſprach, erſchien Frau
Kulicke. Sie ſchob die Zeitungen zurück, um zwei
Couverts legen zu können, und nun brachte ſie den
Rotwein und ein Cabaret mit Brötchen. In dünnge¬
ſchliffene große Gläſer ſchenkte Lorenzen ein, und die
beiden Amtsbrüder ſtießen an „auf beſſere Zeiten.“
Aber ſie dachten ſich ſehr Verſchiedenes dabei, weil
ſich der eine nur mit ſich, der andre nur mit andern
beſchäftigte.

„Wir könnten, glaub' ich,“ ſagte Lorenzen, „neben
den „beſſeren Zeiten“ noch dies und das leben laſſen.
Zunächſt Ihr Wohl, Herr Superintendent. Und zum
zweiten auf das Wohl unſers guten alten Stechlin, der
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[224/0231] vornehme Welt, die da zu Hauſe iſt. Und da war ich denn heut in Amſterdam und morgen in Scheveningen und den dritten Tag in Gent oder in Brügge. Brügge, Reliquienſchrein, Hans Memling — ſo was müßten Sie ſehn. Was ſollen uns dieſe ewigen Markgrafen oder gar die faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, iſt für's härene Gewand oder zum Eremiten geboren. Ich nicht. Ich bin von der andern Seite; meine Seele hängt an Leben und Schönheit. Und nun ſpricht da draußen all dergleichen zu einem, und man tränkt ſich damit und hat einen Ehr¬ geiz, nicht einen kindiſchen, ſondern einen echten, der höher hinauf will, weil man da wirken und ſchaffen kann, für ſich gewiß, aber auch für andre. Danach dürſtet einen. Und nun kommt der Becher, der dieſen Durſt ſtillen ſoll. Und dieſer Becher heißt Quaden- Hennersdorf. Das Dorf, das mich umgiebt, iſt ein großes Bauerndorf, aufgeſteifte Leute, geſchwollen und hartherzig, und natürlich ſo trocken und trivial, wie die Leute hier alle ſind. Und noch ſtolz darauf. Ach, Lorenzen, immer wieder, wie beneide ich Sie!“ Während Koſeleger noch ſo ſprach, erſchien Frau Kulicke. Sie ſchob die Zeitungen zurück, um zwei Couverts legen zu können, und nun brachte ſie den Rotwein und ein Cabaret mit Brötchen. In dünnge¬ ſchliffene große Gläſer ſchenkte Lorenzen ein, und die beiden Amtsbrüder ſtießen an „auf beſſere Zeiten.“ Aber ſie dachten ſich ſehr Verſchiedenes dabei, weil ſich der eine nur mit ſich, der andre nur mit andern beſchäftigte. „Wir könnten, glaub' ich,“ ſagte Lorenzen, „neben den „beſſeren Zeiten“ noch dies und das leben laſſen. Zunächſt Ihr Wohl, Herr Superintendent. Und zum zweiten auf das Wohl unſers guten alten Stechlin, der uns doch heute zuſammengeführt. Ob wir ihn durch¬ bringen? Katzler that ſo ſicher und Kluckhuhn und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/231>, abgerufen am 21.11.2024.