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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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gestellten Kopfputz, von dem es unsicher blieb, ob er
einen Turban oder eine Krone darstellen sollte. Das
Ganze hatte etwas Gewolltes, war aber neben dem
Auffälligen doch auch wieder kleidsam. Es sprach sich
ein Talent darin aus, etwas aus sich zu machen.

"Wie glücklich bin ich, daß du wieder da bist,"
sagte Ermyntrud. "Ich habe mich recht gebangt, dies¬
mal nicht um dich, sondern um mich. Ich muß dies
egoistischerweise gestehen. Es waren recht schwere Stunden
für mich, die ganze Zeit, daß du fort warst."

Er küßte ihr die Hand und führte sie wieder auf
ihren Platz zurück. "Du darfst nicht stehen, Ermyn¬
trud. Und nun bist du auch wieder bei der Stickerei.
Das strengt dich an und hat, wie du weißt, auf
alles Einfluß. Der gute Doktor sagte noch gestern,
alles sei im Zusammenhang. Ich seh' auch, wie blaß
du bist."

"O, das macht der Schirm."

"Du willst es nicht wahr haben und mir nichts
sagen, was vielleicht wie Vorwurf klingen könnte. Ich
mache mir aber den Vorwurf selbst. Ich mußte hier
bleiben und nicht hin zu dieser Stechliner Wahlver¬
sammlung."

"Du mußtest hin, Wladimir."

"Ich rechne es dir hoch an, Ermyntrud, daß du
so sprichst. Aber es wäre schließlich auch ohne mich
gegangen. Koseleger war da, der konnte das Präsidium
nehmen so gut wie ich. Und wenn der nicht wollte,
so konnte Torfinspektor Etzelius einspringen. Oder viel¬
leicht auch Krippenstapel. Krippenstapel ist doch zuletzt
der, der alles macht. Jedenfalls liegt es so, wenn es
der eine nicht ist, ist es der andre."

"Ich kann das zugeben. Wie könnte sonst die
Welt bestehen? Es giebt nichts, was uns so Demut
predigte wie die Wahrnehmung von der Entbehrlich¬

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geſtellten Kopfputz, von dem es unſicher blieb, ob er
einen Turban oder eine Krone darſtellen ſollte. Das
Ganze hatte etwas Gewolltes, war aber neben dem
Auffälligen doch auch wieder kleidſam. Es ſprach ſich
ein Talent darin aus, etwas aus ſich zu machen.

„Wie glücklich bin ich, daß du wieder da biſt,“
ſagte Ermyntrud. „Ich habe mich recht gebangt, dies¬
mal nicht um dich, ſondern um mich. Ich muß dies
egoiſtiſcherweiſe geſtehen. Es waren recht ſchwere Stunden
für mich, die ganze Zeit, daß du fort warſt.“

Er küßte ihr die Hand und führte ſie wieder auf
ihren Platz zurück. „Du darfſt nicht ſtehen, Ermyn¬
trud. Und nun biſt du auch wieder bei der Stickerei.
Das ſtrengt dich an und hat, wie du weißt, auf
alles Einfluß. Der gute Doktor ſagte noch geſtern,
alles ſei im Zuſammenhang. Ich ſeh' auch, wie blaß
du biſt.“

„O, das macht der Schirm.“

„Du willſt es nicht wahr haben und mir nichts
ſagen, was vielleicht wie Vorwurf klingen könnte. Ich
mache mir aber den Vorwurf ſelbſt. Ich mußte hier
bleiben und nicht hin zu dieſer Stechliner Wahlver¬
ſammlung.“

„Du mußteſt hin, Wladimir.“

„Ich rechne es dir hoch an, Ermyntrud, daß du
ſo ſprichſt. Aber es wäre ſchließlich auch ohne mich
gegangen. Koſeleger war da, der konnte das Präſidium
nehmen ſo gut wie ich. Und wenn der nicht wollte,
ſo konnte Torfinſpektor Etzelius einſpringen. Oder viel¬
leicht auch Krippenſtapel. Krippenſtapel iſt doch zuletzt
der, der alles macht. Jedenfalls liegt es ſo, wenn es
der eine nicht iſt, iſt es der andre.“

„Ich kann das zugeben. Wie könnte ſonſt die
Welt beſtehen? Es giebt nichts, was uns ſo Demut
predigte wie die Wahrnehmung von der Entbehrlich¬

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[227/0234] geſtellten Kopfputz, von dem es unſicher blieb, ob er einen Turban oder eine Krone darſtellen ſollte. Das Ganze hatte etwas Gewolltes, war aber neben dem Auffälligen doch auch wieder kleidſam. Es ſprach ſich ein Talent darin aus, etwas aus ſich zu machen. „Wie glücklich bin ich, daß du wieder da biſt,“ ſagte Ermyntrud. „Ich habe mich recht gebangt, dies¬ mal nicht um dich, ſondern um mich. Ich muß dies egoiſtiſcherweiſe geſtehen. Es waren recht ſchwere Stunden für mich, die ganze Zeit, daß du fort warſt.“ Er küßte ihr die Hand und führte ſie wieder auf ihren Platz zurück. „Du darfſt nicht ſtehen, Ermyn¬ trud. Und nun biſt du auch wieder bei der Stickerei. Das ſtrengt dich an und hat, wie du weißt, auf alles Einfluß. Der gute Doktor ſagte noch geſtern, alles ſei im Zuſammenhang. Ich ſeh' auch, wie blaß du biſt.“ „O, das macht der Schirm.“ „Du willſt es nicht wahr haben und mir nichts ſagen, was vielleicht wie Vorwurf klingen könnte. Ich mache mir aber den Vorwurf ſelbſt. Ich mußte hier bleiben und nicht hin zu dieſer Stechliner Wahlver¬ ſammlung.“ „Du mußteſt hin, Wladimir.“ „Ich rechne es dir hoch an, Ermyntrud, daß du ſo ſprichſt. Aber es wäre ſchließlich auch ohne mich gegangen. Koſeleger war da, der konnte das Präſidium nehmen ſo gut wie ich. Und wenn der nicht wollte, ſo konnte Torfinſpektor Etzelius einſpringen. Oder viel¬ leicht auch Krippenſtapel. Krippenſtapel iſt doch zuletzt der, der alles macht. Jedenfalls liegt es ſo, wenn es der eine nicht iſt, iſt es der andre.“ „Ich kann das zugeben. Wie könnte ſonſt die Welt beſtehen? Es giebt nichts, was uns ſo Demut predigte wie die Wahrnehmung von der Entbehrlich¬ 15*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/234>, abgerufen am 24.11.2024.