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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Rechte thut. Es hängt so viel an der Wahl unsers
alten trefflichen Stechlin. Er steht außerdem sittlich
höher als Kortschädel, dem man, trotz seiner siebzig,
allerhand nachsagen durfte. Stechlin ist ganz intakt.
Etwas sehr Seltenes. Und einem sittlichen Prinzip
zum Siege zu verhelfen, dafür leben wir doch recht
eigentlich. Dafür lebe wenigstens ich."

"Gewiß, Ermyntrud, gewiß."

"In jedem Augenblicke seiner Obliegenheiten ein¬
gedenk sein, ohne erst bei Neigung oder Stimmung an¬
zufragen, das hab' ich mir in feierlicher Stunde ge¬
lobt, du weißt, in welcher, und du wirst mir das
Zeugnis ausstellen, daß ich diesem Gelöbnis nachge¬
kommen ..."

"Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unser Fun¬
dament ..."

"Und wenn es sich um eine sittliche Pflicht handelt,
wie doch heute ganz offenbar, wie hätt' ich da sagen
wollen: bleibe. Ich wäre mir klein vorgekommen, klein
und untreu."

"Nicht untreu, Ermyntrud."

"Doch, doch. Es giebt viele Formen der Untreue.
Das Persönliche hat sich der Familie zu bequemen und
unterzuordnen und die Familie wieder der Gesellschaft.
In diesem Sinne bin ich erzogen, und in diesem Sinne
that ich den Schritt. Verlange nicht, daß ich in irgend
etwas diesen Schritt zurückthue."

"Nie."

Das kleine Dienstmädchen, eine Heideläufertochter,
deren storres Haar, von keiner Bürste gezähmt, immer
weit abstand, erschien in diesem Augenblicke, meldend,
daß sie das Theezeug gebracht habe.

Katzler nahm seiner Frau Arm, um sie bis in das
zweite, nach dem Hof hinaus gelegene Zimmer zu führen.
Als er aber wahrnahm, wie schwer ihr das Gehen

Rechte thut. Es hängt ſo viel an der Wahl unſers
alten trefflichen Stechlin. Er ſteht außerdem ſittlich
höher als Kortſchädel, dem man, trotz ſeiner ſiebzig,
allerhand nachſagen durfte. Stechlin iſt ganz intakt.
Etwas ſehr Seltenes. Und einem ſittlichen Prinzip
zum Siege zu verhelfen, dafür leben wir doch recht
eigentlich. Dafür lebe wenigſtens ich.“

„Gewiß, Ermyntrud, gewiß.“

„In jedem Augenblicke ſeiner Obliegenheiten ein¬
gedenk ſein, ohne erſt bei Neigung oder Stimmung an¬
zufragen, das hab' ich mir in feierlicher Stunde ge¬
lobt, du weißt, in welcher, und du wirſt mir das
Zeugnis ausſtellen, daß ich dieſem Gelöbnis nachge¬
kommen ...“

„Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unſer Fun¬
dament ...“

„Und wenn es ſich um eine ſittliche Pflicht handelt,
wie doch heute ganz offenbar, wie hätt' ich da ſagen
wollen: bleibe. Ich wäre mir klein vorgekommen, klein
und untreu.“

„Nicht untreu, Ermyntrud.“

„Doch, doch. Es giebt viele Formen der Untreue.
Das Perſönliche hat ſich der Familie zu bequemen und
unterzuordnen und die Familie wieder der Geſellſchaft.
In dieſem Sinne bin ich erzogen, und in dieſem Sinne
that ich den Schritt. Verlange nicht, daß ich in irgend
etwas dieſen Schritt zurückthue.“

„Nie.“

Das kleine Dienſtmädchen, eine Heideläufertochter,
deren ſtorres Haar, von keiner Bürſte gezähmt, immer
weit abſtand, erſchien in dieſem Augenblicke, meldend,
daß ſie das Theezeug gebracht habe.

Katzler nahm ſeiner Frau Arm, um ſie bis in das
zweite, nach dem Hof hinaus gelegene Zimmer zu führen.
Als er aber wahrnahm, wie ſchwer ihr das Gehen

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[229/0236] Rechte thut. Es hängt ſo viel an der Wahl unſers alten trefflichen Stechlin. Er ſteht außerdem ſittlich höher als Kortſchädel, dem man, trotz ſeiner ſiebzig, allerhand nachſagen durfte. Stechlin iſt ganz intakt. Etwas ſehr Seltenes. Und einem ſittlichen Prinzip zum Siege zu verhelfen, dafür leben wir doch recht eigentlich. Dafür lebe wenigſtens ich.“ „Gewiß, Ermyntrud, gewiß.“ „In jedem Augenblicke ſeiner Obliegenheiten ein¬ gedenk ſein, ohne erſt bei Neigung oder Stimmung an¬ zufragen, das hab' ich mir in feierlicher Stunde ge¬ lobt, du weißt, in welcher, und du wirſt mir das Zeugnis ausſtellen, daß ich dieſem Gelöbnis nachge¬ kommen ...“ „Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unſer Fun¬ dament ...“ „Und wenn es ſich um eine ſittliche Pflicht handelt, wie doch heute ganz offenbar, wie hätt' ich da ſagen wollen: bleibe. Ich wäre mir klein vorgekommen, klein und untreu.“ „Nicht untreu, Ermyntrud.“ „Doch, doch. Es giebt viele Formen der Untreue. Das Perſönliche hat ſich der Familie zu bequemen und unterzuordnen und die Familie wieder der Geſellſchaft. In dieſem Sinne bin ich erzogen, und in dieſem Sinne that ich den Schritt. Verlange nicht, daß ich in irgend etwas dieſen Schritt zurückthue.“ „Nie.“ Das kleine Dienſtmädchen, eine Heideläufertochter, deren ſtorres Haar, von keiner Bürſte gezähmt, immer weit abſtand, erſchien in dieſem Augenblicke, meldend, daß ſie das Theezeug gebracht habe. Katzler nahm ſeiner Frau Arm, um ſie bis in das zweite, nach dem Hof hinaus gelegene Zimmer zu führen. Als er aber wahrnahm, wie ſchwer ihr das Gehen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/236>, abgerufen am 21.11.2024.