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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Bekannten begrüßt und an jeden einzelnen ein paar
Worte gerichtet hatte, vom Vorplatz her in das Wahl¬
lokal ein, um da so rasch wie möglich seinen Zettel in
die Urne zu thun. Es traf ihn bei dieser Prozedur
der Blick des alten Zühlen, der ihm in einer Mischung
von Feierlichkeit und Ulk sagen zu wollen schien: "Ja,
Stechlin, das hilft nu mal nicht; man muß die Komödie
mit durchmachen." Dubslav kam übrigens kaum dazu,
von diesem Blicke Notiz zu nehmen, weil er Katzlers
gewahr wurde, dem er sofort entgegentrat, um ihm durch
einen Händedruck zu dem siebenten Töchterchen zu gra¬
tulieren. An Gundermann ging der Alte ohne Notiz¬
nahme vorüber. Dies war aber nur Zufall; er wußte
nichts von den Zweideutigkeiten des Siebenmühlners,
und nur dieser selbst, weil er ein schlechtes Gewissen
hatte, wurde verlegen und empfand des Alten Haltung
wie eine Absage.

Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich
die große Frage: "Ja, was jetzt thun?" Es ging erst
auf elf, und vor sechs war die Geschichte nicht vorbei,
wenn sich's nicht noch länger hinzog. Er sprach dies
auch einer Anzahl von Herren aus, die sich auf einer
vor dem Gasthause stehenden Bank niedergelassen und
hier dem Liquerkasten des "Prinzregenten", der sonst
immer erst nach dem Diner auftauchte, vorgreifend zu¬
gesprochen hatten.

Es waren ihrer fünf, lauter Kreis- und Partei¬
genossen, aber nicht eigentlich Freunde, denn der alte
Dubslav war nicht sehr für Freundschaften. Er sah
zu sehr, was jedem einzelnen fehlte. Die da saßen
und aus purer Langerweile sich über die Vorzüge von
Allasch und Chartreuse stritten, waren die Herren von
Molchow, von Krangen und von Gnewkow, dazu Baron
Beetz und ein Freiherr von der Nonne, den die Natur
mit besonderer Rücksicht auf seinen Namen geformt zu

Bekannten begrüßt und an jeden einzelnen ein paar
Worte gerichtet hatte, vom Vorplatz her in das Wahl¬
lokal ein, um da ſo raſch wie möglich ſeinen Zettel in
die Urne zu thun. Es traf ihn bei dieſer Prozedur
der Blick des alten Zühlen, der ihm in einer Miſchung
von Feierlichkeit und Ulk ſagen zu wollen ſchien: „Ja,
Stechlin, das hilft nu mal nicht; man muß die Komödie
mit durchmachen.“ Dubslav kam übrigens kaum dazu,
von dieſem Blicke Notiz zu nehmen, weil er Katzlers
gewahr wurde, dem er ſofort entgegentrat, um ihm durch
einen Händedruck zu dem ſiebenten Töchterchen zu gra¬
tulieren. An Gundermann ging der Alte ohne Notiz¬
nahme vorüber. Dies war aber nur Zufall; er wußte
nichts von den Zweideutigkeiten des Siebenmühlners,
und nur dieſer ſelbſt, weil er ein ſchlechtes Gewiſſen
hatte, wurde verlegen und empfand des Alten Haltung
wie eine Abſage.

Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich
die große Frage: „Ja, was jetzt thun?“ Es ging erſt
auf elf, und vor ſechs war die Geſchichte nicht vorbei,
wenn ſich's nicht noch länger hinzog. Er ſprach dies
auch einer Anzahl von Herren aus, die ſich auf einer
vor dem Gaſthauſe ſtehenden Bank niedergelaſſen und
hier dem Liquerkaſten des „Prinzregenten“, der ſonſt
immer erſt nach dem Diner auftauchte, vorgreifend zu¬
geſprochen hatten.

Es waren ihrer fünf, lauter Kreis- und Partei¬
genoſſen, aber nicht eigentlich Freunde, denn der alte
Dubslav war nicht ſehr für Freundſchaften. Er ſah
zu ſehr, was jedem einzelnen fehlte. Die da ſaßen
und aus purer Langerweile ſich über die Vorzüge von
Allaſch und Chartreuſe ſtritten, waren die Herren von
Molchow, von Krangen und von Gnewkow, dazu Baron
Beetz und ein Freiherr von der Nonne, den die Natur
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[238/0245] Bekannten begrüßt und an jeden einzelnen ein paar Worte gerichtet hatte, vom Vorplatz her in das Wahl¬ lokal ein, um da ſo raſch wie möglich ſeinen Zettel in die Urne zu thun. Es traf ihn bei dieſer Prozedur der Blick des alten Zühlen, der ihm in einer Miſchung von Feierlichkeit und Ulk ſagen zu wollen ſchien: „Ja, Stechlin, das hilft nu mal nicht; man muß die Komödie mit durchmachen.“ Dubslav kam übrigens kaum dazu, von dieſem Blicke Notiz zu nehmen, weil er Katzlers gewahr wurde, dem er ſofort entgegentrat, um ihm durch einen Händedruck zu dem ſiebenten Töchterchen zu gra¬ tulieren. An Gundermann ging der Alte ohne Notiz¬ nahme vorüber. Dies war aber nur Zufall; er wußte nichts von den Zweideutigkeiten des Siebenmühlners, und nur dieſer ſelbſt, weil er ein ſchlechtes Gewiſſen hatte, wurde verlegen und empfand des Alten Haltung wie eine Abſage. Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich die große Frage: „Ja, was jetzt thun?“ Es ging erſt auf elf, und vor ſechs war die Geſchichte nicht vorbei, wenn ſich's nicht noch länger hinzog. Er ſprach dies auch einer Anzahl von Herren aus, die ſich auf einer vor dem Gaſthauſe ſtehenden Bank niedergelaſſen und hier dem Liquerkaſten des „Prinzregenten“, der ſonſt immer erſt nach dem Diner auftauchte, vorgreifend zu¬ geſprochen hatten. Es waren ihrer fünf, lauter Kreis- und Partei¬ genoſſen, aber nicht eigentlich Freunde, denn der alte Dubslav war nicht ſehr für Freundſchaften. Er ſah zu ſehr, was jedem einzelnen fehlte. Die da ſaßen und aus purer Langerweile ſich über die Vorzüge von Allaſch und Chartreuſe ſtritten, waren die Herren von Molchow, von Krangen und von Gnewkow, dazu Baron Beetz und ein Freiherr von der Nonne, den die Natur mit beſonderer Rückſicht auf ſeinen Namen geformt zu

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/245>, abgerufen am 21.11.2024.