Drinnen im Saal war der Wahlakt schon im Gange. Hinter der Urne präsidierte der alte Herr von Zühlen, ein guter Siebziger, der die groteskesten Feudal¬ ansichten mit ebenso grotesker Bonhomie zu verbinden wußte, was ihm, auch bei seinen politischen Gegnern, eine große Beliebtheit sicherte. Neben ihm, links und rechts, saßen Herr von Storbeck und Herr van dem Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von Delft, der vor wenig Jahren erst ein großes Gut im Ruppiner Kreise gekauft und sich seitdem zum Preußen und, was noch mehr sagen wollte, zum ,Grafschaftler' herangebildet hatte. Man sah ihn aus allen möglichen Gründen -- auch schon um seines ,van' willen -- nicht ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil er der, bei den meisten Grafschaftlern stark ins Gewicht fallenden Haupteigenschaft eines vor so und so viel Jahren in Batavia geborenen holländisch-javanischen Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von Storbeck Lebensgeschichte war durchschnittsmäßiger. Unter denen, die sonst noch am Komiteetisch saßen, befand sich auch Katzler, den Ermyntrud (wie Dubslav ganz richtig vermutet) mit der Bemerkung, "daß im modernen bürger¬ lichen Staate Wählen so gut wie Kämpfen sei", von ihrem Wochenbette fortgeschickt hatte. "Das Kind wird inzwischen mein Engel sein, und das Gefühl erfüllter Pflicht soll mich bei Kraft erhalten." Auch Gunder¬ mann, der immer mit dabei sein mußte, saß am Komitee¬ tisch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil er -- wie Lorenzen bereits angedeutet -- wirklich im geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er selber unterliegen würde, war klar und beschäftigte ihn kaum noch, aber ihn erfüllte die Sorge, daß sein voraufgegangenes doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.
Dubslav wollte die Sache gern hinter sich haben. Er trat deshalb, nachdem er sich draußen mit einigen
Drinnen im Saal war der Wahlakt ſchon im Gange. Hinter der Urne präſidierte der alte Herr von Zühlen, ein guter Siebziger, der die groteskeſten Feudal¬ anſichten mit ebenſo grotesker Bonhomie zu verbinden wußte, was ihm, auch bei ſeinen politiſchen Gegnern, eine große Beliebtheit ſicherte. Neben ihm, links und rechts, ſaßen Herr von Storbeck und Herr van dem Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von Delft, der vor wenig Jahren erſt ein großes Gut im Ruppiner Kreiſe gekauft und ſich ſeitdem zum Preußen und, was noch mehr ſagen wollte, zum ‚Grafſchaftler‘ herangebildet hatte. Man ſah ihn aus allen möglichen Gründen — auch ſchon um ſeines ‚van‘ willen — nicht ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil er der, bei den meiſten Grafſchaftlern ſtark ins Gewicht fallenden Haupteigenſchaft eines vor ſo und ſo viel Jahren in Batavia geborenen holländiſch-javaniſchen Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von Storbeck Lebensgeſchichte war durchſchnittsmäßiger. Unter denen, die ſonſt noch am Komiteetiſch ſaßen, befand ſich auch Katzler, den Ermyntrud (wie Dubslav ganz richtig vermutet) mit der Bemerkung, „daß im modernen bürger¬ lichen Staate Wählen ſo gut wie Kämpfen ſei“, von ihrem Wochenbette fortgeſchickt hatte. „Das Kind wird inzwiſchen mein Engel ſein, und das Gefühl erfüllter Pflicht ſoll mich bei Kraft erhalten.“ Auch Gunder¬ mann, der immer mit dabei ſein mußte, ſaß am Komitee¬ tiſch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil er — wie Lorenzen bereits angedeutet — wirklich im geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er ſelber unterliegen würde, war klar und beſchäftigte ihn kaum noch, aber ihn erfüllte die Sorge, daß ſein voraufgegangenes doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.
Dubslav wollte die Sache gern hinter ſich haben. Er trat deshalb, nachdem er ſich draußen mit einigen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0244"n="237"/><p>Drinnen im Saal war der Wahlakt ſchon im<lb/>
Gange. Hinter der Urne präſidierte der alte Herr von<lb/>
Zühlen, ein guter Siebziger, der die groteskeſten Feudal¬<lb/>
anſichten mit ebenſo grotesker Bonhomie zu verbinden<lb/>
wußte, was ihm, auch bei ſeinen politiſchen Gegnern,<lb/>
eine große Beliebtheit ſicherte. Neben ihm, links und<lb/>
rechts, ſaßen Herr von Storbeck und Herr van dem<lb/>
Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von<lb/>
Delft, der vor wenig Jahren erſt ein großes Gut im<lb/>
Ruppiner Kreiſe gekauft und ſich ſeitdem zum Preußen<lb/>
und, was noch mehr ſagen wollte, zum ‚Grafſchaftler‘<lb/>
herangebildet hatte. Man ſah ihn aus allen möglichen<lb/>
Gründen — auch ſchon um ſeines ‚van‘ willen — nicht<lb/>
ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil<lb/>
er der, bei den meiſten Grafſchaftlern ſtark ins Gewicht<lb/>
fallenden Haupteigenſchaft eines vor ſo und ſo viel<lb/>
Jahren in Batavia geborenen holländiſch-javaniſchen<lb/>
Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von<lb/>
Storbeck Lebensgeſchichte war durchſchnittsmäßiger. Unter<lb/>
denen, die ſonſt noch am Komiteetiſch ſaßen, befand ſich<lb/>
auch Katzler, den Ermyntrud (wie Dubslav ganz richtig<lb/>
vermutet) mit der Bemerkung, „daß im modernen bürger¬<lb/>
lichen Staate Wählen ſo gut wie Kämpfen ſei“, von<lb/>
ihrem Wochenbette fortgeſchickt hatte. „Das Kind wird<lb/>
inzwiſchen mein Engel ſein, und das Gefühl erfüllter<lb/>
Pflicht ſoll mich bei Kraft erhalten.“ Auch Gunder¬<lb/>
mann, der immer mit dabei ſein mußte, ſaß am Komitee¬<lb/>
tiſch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil<lb/>
er — wie Lorenzen bereits angedeutet — wirklich im<lb/>
geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er ſelber<lb/>
unterliegen würde, war klar und beſchäftigte ihn kaum noch,<lb/>
aber ihn erfüllte die Sorge, daß ſein voraufgegangenes<lb/>
doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.</p><lb/><p>Dubslav wollte die Sache gern hinter ſich haben.<lb/>
Er trat deshalb, nachdem er ſich draußen mit einigen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[237/0244]
Drinnen im Saal war der Wahlakt ſchon im
Gange. Hinter der Urne präſidierte der alte Herr von
Zühlen, ein guter Siebziger, der die groteskeſten Feudal¬
anſichten mit ebenſo grotesker Bonhomie zu verbinden
wußte, was ihm, auch bei ſeinen politiſchen Gegnern,
eine große Beliebtheit ſicherte. Neben ihm, links und
rechts, ſaßen Herr von Storbeck und Herr van dem
Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von
Delft, der vor wenig Jahren erſt ein großes Gut im
Ruppiner Kreiſe gekauft und ſich ſeitdem zum Preußen
und, was noch mehr ſagen wollte, zum ‚Grafſchaftler‘
herangebildet hatte. Man ſah ihn aus allen möglichen
Gründen — auch ſchon um ſeines ‚van‘ willen — nicht
ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil
er der, bei den meiſten Grafſchaftlern ſtark ins Gewicht
fallenden Haupteigenſchaft eines vor ſo und ſo viel
Jahren in Batavia geborenen holländiſch-javaniſchen
Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von
Storbeck Lebensgeſchichte war durchſchnittsmäßiger. Unter
denen, die ſonſt noch am Komiteetiſch ſaßen, befand ſich
auch Katzler, den Ermyntrud (wie Dubslav ganz richtig
vermutet) mit der Bemerkung, „daß im modernen bürger¬
lichen Staate Wählen ſo gut wie Kämpfen ſei“, von
ihrem Wochenbette fortgeſchickt hatte. „Das Kind wird
inzwiſchen mein Engel ſein, und das Gefühl erfüllter
Pflicht ſoll mich bei Kraft erhalten.“ Auch Gunder¬
mann, der immer mit dabei ſein mußte, ſaß am Komitee¬
tiſch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil
er — wie Lorenzen bereits angedeutet — wirklich im
geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er ſelber
unterliegen würde, war klar und beſchäftigte ihn kaum noch,
aber ihn erfüllte die Sorge, daß ſein voraufgegangenes
doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.
Dubslav wollte die Sache gern hinter ſich haben.
Er trat deshalb, nachdem er ſich draußen mit einigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/244>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.