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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Muß das ein Staunen gewesen sein."

"Ja. Aber doch mehr draußen in der Welt als
daheim. Anstaunen ist auch eine Kunst. Es gehört etwas
dazu, Großes als groß zu begreifen .. Und dann kam die
dritte Zeit. Nicht groß und doch auch wieder ganz groß.
Da war das arme, elende, halb dem Untergange verfallene
Land nicht von Genie, wohl aber von Begeisterung durch¬
leuchtet, von dem Glauben an die höhere Macht des
Geistigen, des Wissens und der Freiheit."

"Gut, Lorenzen. Aber weiter."

"Und all das, was ich da so hergezählt, umfaßte
zeitlich ein Jahrhundert. Da waren mir den andern vor¬
aus, mitunter geistig und moralisch gewiß. Aber der
,Non soli cedo-Adler' mit seinem Blitzbündel in den
Fängen, er blitzt nicht mehr, und die Begeisterung ist tot.
Eine rückläufige Bewegung ist da, längst Abgestorbenes,
ich muß es wiederholen, soll neu erblühn. Es thut es
nicht. In gewissem Sinne freilich kehrt alles einmal
wieder, aber bei dieser Wiederkehr werden Jahrtausende
übersprungen; wir können die römischen Kaiserzeiten, Gutes
und Schlechtes, wieder haben, aber nicht das spanische
Rohr aus dem Tabakskollegium und nicht einmal den
Krückstock von Sanssouci. Damit ist es vorbei. Und gut,
daß es so ist. Was einmal Fortschritt war, ist längst
Rückschritt geworden. Aus der modernen Geschichte, der
eigentlichen, der lesenswerten, verschwinden die Bataillen
und die Bataillone (trotzdem sie sich beständig vermehren)
und wenn sie nicht selbst verschwinden, so schwindet doch
das Interesse daran. Und mit dem Interesse das Prestige.
An ihre Stelle treten Erfinder und Entdecker, und James
Watt und Siemens bedeuten uns mehr als du Guesclin
und Bayard. Das Heldische hat nicht direkt abgewirt¬
schaftet und wird noch lange nicht abgewirtschaftet haben,
aber sein Kurs hat nun mal seine besondere Höhe ver¬
loren, und anstatt sich in diese Thatsache zu finden, ver¬

„Muß das ein Staunen geweſen ſein.“

„Ja. Aber doch mehr draußen in der Welt als
daheim. Anſtaunen iſt auch eine Kunſt. Es gehört etwas
dazu, Großes als groß zu begreifen .. Und dann kam die
dritte Zeit. Nicht groß und doch auch wieder ganz groß.
Da war das arme, elende, halb dem Untergange verfallene
Land nicht von Genie, wohl aber von Begeiſterung durch¬
leuchtet, von dem Glauben an die höhere Macht des
Geiſtigen, des Wiſſens und der Freiheit.“

„Gut, Lorenzen. Aber weiter.“

„Und all das, was ich da ſo hergezählt, umfaßte
zeitlich ein Jahrhundert. Da waren mir den andern vor¬
aus, mitunter geiſtig und moraliſch gewiß. Aber der
Non soli cedo-Adler‘ mit ſeinem Blitzbündel in den
Fängen, er blitzt nicht mehr, und die Begeiſterung iſt tot.
Eine rückläufige Bewegung iſt da, längſt Abgeſtorbenes,
ich muß es wiederholen, ſoll neu erblühn. Es thut es
nicht. In gewiſſem Sinne freilich kehrt alles einmal
wieder, aber bei dieſer Wiederkehr werden Jahrtauſende
überſprungen; wir können die römiſchen Kaiſerzeiten, Gutes
und Schlechtes, wieder haben, aber nicht das ſpaniſche
Rohr aus dem Tabakskollegium und nicht einmal den
Krückſtock von Sansſouci. Damit iſt es vorbei. Und gut,
daß es ſo iſt. Was einmal Fortſchritt war, iſt längſt
Rückſchritt geworden. Aus der modernen Geſchichte, der
eigentlichen, der leſenswerten, verſchwinden die Bataillen
und die Bataillone (trotzdem ſie ſich beſtändig vermehren)
und wenn ſie nicht ſelbſt verſchwinden, ſo ſchwindet doch
das Intereſſe daran. Und mit dem Intereſſe das Preſtige.
An ihre Stelle treten Erfinder und Entdecker, und James
Watt und Siemens bedeuten uns mehr als du Guesclin
und Bayard. Das Heldiſche hat nicht direkt abgewirt¬
ſchaftet und wird noch lange nicht abgewirtſchaftet haben,
aber ſein Kurs hat nun mal ſeine beſondere Höhe ver¬
loren, und anſtatt ſich in dieſe Thatſache zu finden, ver¬

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[357/0364] „Muß das ein Staunen geweſen ſein.“ „Ja. Aber doch mehr draußen in der Welt als daheim. Anſtaunen iſt auch eine Kunſt. Es gehört etwas dazu, Großes als groß zu begreifen .. Und dann kam die dritte Zeit. Nicht groß und doch auch wieder ganz groß. Da war das arme, elende, halb dem Untergange verfallene Land nicht von Genie, wohl aber von Begeiſterung durch¬ leuchtet, von dem Glauben an die höhere Macht des Geiſtigen, des Wiſſens und der Freiheit.“ „Gut, Lorenzen. Aber weiter.“ „Und all das, was ich da ſo hergezählt, umfaßte zeitlich ein Jahrhundert. Da waren mir den andern vor¬ aus, mitunter geiſtig und moraliſch gewiß. Aber der ‚Non soli cedo-Adler‘ mit ſeinem Blitzbündel in den Fängen, er blitzt nicht mehr, und die Begeiſterung iſt tot. Eine rückläufige Bewegung iſt da, längſt Abgeſtorbenes, ich muß es wiederholen, ſoll neu erblühn. Es thut es nicht. In gewiſſem Sinne freilich kehrt alles einmal wieder, aber bei dieſer Wiederkehr werden Jahrtauſende überſprungen; wir können die römiſchen Kaiſerzeiten, Gutes und Schlechtes, wieder haben, aber nicht das ſpaniſche Rohr aus dem Tabakskollegium und nicht einmal den Krückſtock von Sansſouci. Damit iſt es vorbei. Und gut, daß es ſo iſt. Was einmal Fortſchritt war, iſt längſt Rückſchritt geworden. Aus der modernen Geſchichte, der eigentlichen, der leſenswerten, verſchwinden die Bataillen und die Bataillone (trotzdem ſie ſich beſtändig vermehren) und wenn ſie nicht ſelbſt verſchwinden, ſo ſchwindet doch das Intereſſe daran. Und mit dem Intereſſe das Preſtige. An ihre Stelle treten Erfinder und Entdecker, und James Watt und Siemens bedeuten uns mehr als du Guesclin und Bayard. Das Heldiſche hat nicht direkt abgewirt¬ ſchaftet und wird noch lange nicht abgewirtſchaftet haben, aber ſein Kurs hat nun mal ſeine beſondere Höhe ver¬ loren, und anſtatt ſich in dieſe Thatſache zu finden, ver¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/364>, abgerufen am 22.11.2024.