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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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sucht es unser Regime, dem Niedersteigenden eine künst¬
liche Hausse zu geben."

"Es ist, wie Sie sagen. Aber gegen wen richtet
sich's? Sie sprachen von ,Regime'. Wer ist dies Regime?
Mensch oder Ding? Ist es die von alter Zeit her über¬
nommene Maschine, deren Räderwerk tot weiterklappert,
oder ist es Der, der an der Maschine steht? Oder end¬
lich ist es eine bestimmte abgegrenzte Vielheit, die die Hand
des Mannes an der Maschine zu bestimmen, zu richten
trachtet? In allem, was Sie sagen, klingt eine sich auf¬
lehnende Stimme. Sind Sie gegen den Adel? Stehen
Sie gegen die ,alten Familien'?"

"Zunächst: nein. Ich liebe, hab' auch Ursach' dazu,
die alten Familien und möchte beinah' glauben, jeder
liebt sie. Die alten Familien sind immer noch populär,
auch heute noch. Aber sie verthun und verschütten diese
Sympathien, die doch jeder braucht, jeder Mensch und
jeder Stand. Unsre alten Familien kranken durchgängig
an der Vorstellung, ,daß es ohne sie nicht gehe', was
aber weit gefehlt ist, denn es geht sicher auch ohne sie;
-- sie sind nicht mehr die Säule, die das Ganze trägt, sie
sind das alte Stein- und Moosdach, das wohl noch lastet
und drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr schützen kann.
Wohl möglich, daß aristokratische Tage mal wiederkehren,
vorläufig, wohin wir sehen, stehen wir im Zeichen
einer demokratischen Weltanschauung. Eine neue Zeit
bricht an. Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere.
Aber wenn auch nicht eine glücklichere, so doch mindestens
eine Zeit mit mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in
der wir besser atmen können. Und je freier man atmet,
je mehr lebt man. Was aber Woldemar angeht, meiner
sind Sie sicher, Frau Gräfin. Bleibt freilich, als Haupt¬
faktor, noch die Comtesse. Für die müssen Sie die Bürg¬
schaft übernehmen. Die Frauen bestimmen schließlich doch
alles."

ſucht es unſer Regime, dem Niederſteigenden eine künſt¬
liche Hauſſe zu geben.“

„Es iſt, wie Sie ſagen. Aber gegen wen richtet
ſich's? Sie ſprachen von ‚Regime‘. Wer iſt dies Regime?
Menſch oder Ding? Iſt es die von alter Zeit her über¬
nommene Maſchine, deren Räderwerk tot weiterklappert,
oder iſt es Der, der an der Maſchine ſteht? Oder end¬
lich iſt es eine beſtimmte abgegrenzte Vielheit, die die Hand
des Mannes an der Maſchine zu beſtimmen, zu richten
trachtet? In allem, was Sie ſagen, klingt eine ſich auf¬
lehnende Stimme. Sind Sie gegen den Adel? Stehen
Sie gegen die ‚alten Familien‘?“

„Zunächſt: nein. Ich liebe, hab' auch Urſach' dazu,
die alten Familien und möchte beinah' glauben, jeder
liebt ſie. Die alten Familien ſind immer noch populär,
auch heute noch. Aber ſie verthun und verſchütten dieſe
Sympathien, die doch jeder braucht, jeder Menſch und
jeder Stand. Unſre alten Familien kranken durchgängig
an der Vorſtellung, ‚daß es ohne ſie nicht gehe‘, was
aber weit gefehlt iſt, denn es geht ſicher auch ohne ſie;
— ſie ſind nicht mehr die Säule, die das Ganze trägt, ſie
ſind das alte Stein- und Moosdach, das wohl noch laſtet
und drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr ſchützen kann.
Wohl möglich, daß ariſtokratiſche Tage mal wiederkehren,
vorläufig, wohin wir ſehen, ſtehen wir im Zeichen
einer demokratiſchen Weltanſchauung. Eine neue Zeit
bricht an. Ich glaube, eine beſſere und eine glücklichere.
Aber wenn auch nicht eine glücklichere, ſo doch mindeſtens
eine Zeit mit mehr Sauerſtoff in der Luft, eine Zeit, in
der wir beſſer atmen können. Und je freier man atmet,
je mehr lebt man. Was aber Woldemar angeht, meiner
ſind Sie ſicher, Frau Gräfin. Bleibt freilich, als Haupt¬
faktor, noch die Comteſſe. Für die müſſen Sie die Bürg¬
ſchaft übernehmen. Die Frauen beſtimmen ſchließlich doch
alles.“

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[358/0365] ſucht es unſer Regime, dem Niederſteigenden eine künſt¬ liche Hauſſe zu geben.“ „Es iſt, wie Sie ſagen. Aber gegen wen richtet ſich's? Sie ſprachen von ‚Regime‘. Wer iſt dies Regime? Menſch oder Ding? Iſt es die von alter Zeit her über¬ nommene Maſchine, deren Räderwerk tot weiterklappert, oder iſt es Der, der an der Maſchine ſteht? Oder end¬ lich iſt es eine beſtimmte abgegrenzte Vielheit, die die Hand des Mannes an der Maſchine zu beſtimmen, zu richten trachtet? In allem, was Sie ſagen, klingt eine ſich auf¬ lehnende Stimme. Sind Sie gegen den Adel? Stehen Sie gegen die ‚alten Familien‘?“ „Zunächſt: nein. Ich liebe, hab' auch Urſach' dazu, die alten Familien und möchte beinah' glauben, jeder liebt ſie. Die alten Familien ſind immer noch populär, auch heute noch. Aber ſie verthun und verſchütten dieſe Sympathien, die doch jeder braucht, jeder Menſch und jeder Stand. Unſre alten Familien kranken durchgängig an der Vorſtellung, ‚daß es ohne ſie nicht gehe‘, was aber weit gefehlt iſt, denn es geht ſicher auch ohne ſie; — ſie ſind nicht mehr die Säule, die das Ganze trägt, ſie ſind das alte Stein- und Moosdach, das wohl noch laſtet und drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr ſchützen kann. Wohl möglich, daß ariſtokratiſche Tage mal wiederkehren, vorläufig, wohin wir ſehen, ſtehen wir im Zeichen einer demokratiſchen Weltanſchauung. Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine beſſere und eine glücklichere. Aber wenn auch nicht eine glücklichere, ſo doch mindeſtens eine Zeit mit mehr Sauerſtoff in der Luft, eine Zeit, in der wir beſſer atmen können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man. Was aber Woldemar angeht, meiner ſind Sie ſicher, Frau Gräfin. Bleibt freilich, als Haupt¬ faktor, noch die Comteſſe. Für die müſſen Sie die Bürg¬ ſchaft übernehmen. Die Frauen beſtimmen ſchließlich doch alles.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/365>, abgerufen am 22.11.2024.